Musik kann Grenzen überwinden. Sie kann eine Brücke sein und Veränderungen anstoßen. Und sie kann beim Verarbeiten von Wut und Trauer helfen sowie Hoffnung geben. Eine heilende Wirkung, auf die Götz Schwarzkopf vertraut. Seit Monaten kämpft der Sprecher der Kirchheimer Ortsgruppe Seebrücke mit vielen anderen gegen die Abschiebung von Sedia Kijera in dessen Heimatland Gambia.
Seine Emotionen hat Schwarzkopf jetzt in einem Song verarbeitet. Er trägt den schlichten Titel „Sedia“ und erzählt auf eindrucksvolle Weise die Geschichte des 28-Jährigen, das Drama um seine Rückführung nach Westafrika und die Ohnmacht, die so viele Menschen seit Monaten empfinden.
Anfangs fehlte der Mut
Vergangenen Samstag haben Schwarzkopf und Mitglieder seiner Band Hölders Welt das Stück im heimischen Studio in Kirchheim aufgenommen. Anfangs via Youtube und später über weitere Streamingplattformen soll es möglichst viele Menschen erreichen und Herzen öffnen.
Die Idee, einen Song zu komponieren, der die Themen Migration und Flucht in den Blick nimmt, schwirrt Götz Schwarzkopf schon länger durch den Kopf – „eigentlich seitdem ich die Tragödien am Mittelmeer im Fernsehen gesehen habe.“ Doch der 55-Jährige schob den Gedanken erst einmal von sich. Auch, weil es schon Stücke von anderen Künstlern gab, die dem Kirchheimer aus der Seele sprachen. Das Lied „Das Boot ist voll“ des Schweizer Musikers Faber etwa oder der Song „Meermenschen“ von Moop Mama.
„Sie haben das Thema Flucht übers Mittelmeer und Migration so erschreckend eindrücklich und meines Erachtens herausragend zu Songs verarbeitet, dass ich alles, was mich ebenfalls bewegte, ausgedrückt vorfand. Zudem war ich mit der Arbeit für die Ortsgruppe Seebrücke anderweitig beansprucht“, sagt Schwarzkopf. Vielleicht habe ihm aber auch etwas der Mut gefehlt, denkt Schwarzkopf laut nach. Dabei ist der Kirchheimer selbst mehr als nur ein Hobbymusiker. Seit fast vier Jahrzehnten macht der 55-Jährige Bandmusik. Er ist Sänger, Bläser, Autor und Komponist. Fünf Musicals hat er auf die Beine gestellt. Aufgeführt wurden sie unter anderem im Forum in Ludwigsburg und im Theaterhaus Stuttgart.
Seit der Schulzeit spielt er in einer Band, deren Namen sich im Lauf der Jahre immer wieder geändert hat, seit 2015 aber als Hölders Welt in der Region bekannt ist. Nicht zuletzt wegen des Rockmusicals über Friedrich Hölderlin. Mit mehr als 500 Menschen hat der Kirchheimer im Lauf der Zeit zusammengearbeitet und mit seiner Arbeit mehr als 25 000 Menschen erreicht. „Ich mache seit Jahrzehnten Rockmusik – ohne Notwendigkeit, dass damit der Lebensunterhalt finanziert werden muss. Das ist ein Privileg. Ich kann mich musikalisch ausschließlich mit dem befassen, was mir wichtig ist“, sagt Götz Schwarzkopf.
Und als der 30. November 2023 kam, veränderte sich auf einen Schlag, was für ihn wichtig ist. Sedia Kijera wurde aus seinem Frühdienst im Pflegeheim am Mühlbach abgeholt, um ihn in sein Heimatland Gambia abzuschieben. Das Entsetzen in Schwarzkopfs Heimatkommune war groß. Der 28-jährige Pfleger war beliebt, er machte seine Arbeit gut und wurde gebraucht.
„Wir setzten uns mit verschiedenen Aktionen für Sedia ein, und es blieb wieder einmal keine Zeit für Lieder.“ Schwarzkopf und seine Mitstreiter taten alles, um die Abschiebung zu verhindern und schöpften immer wieder Hoffnung, dass es gelingen könnte, denn der Pilot, der Sedia mitnehmen sollte, weigerte sich.
Auch Versuch Nummer Zwei scheiterte: Kijera sollte am 31. Januar mit einem gecharterten Flugzeug ausgeflogen werden, doch Gambia lehnte es ab, das Flugzeug mit ihm landen zu lassen. Der 28-Jährige sitzt nun weiter in Gewahrsam in Pforzheim. Die Abschiebehaft lief eigentlich am 6. Februar aus.
Seine letzte Hoffnung setzt Götz Schwarzkopf in den bei der Härtefallkommission des Landtags gestellten Härtefallantrag – und ein bisschen auch in sein Lied. „Über den Jahreswechsel zeichnete sich ab, dass wir nicht weiterkommen und wir im Grunde auch nicht mehr viel tun können“, erzählt Schwarzkopf. „Und vergangene Woche war der Frust dann so groß, dass ich das Lied einfach schreiben musste.“
Sedia – Götz Schwarzkopf from Götz Schwarzkopf on Vimeo.
An einem Samstag innerhalb von sieben Stunden ist es entstanden. „Es floss sozusagen aus der Feder“, sagt der 55-Jährige. Das Feedback der Familie war positiv ebenso wie das der Leiterin des Heimes, in dem der Gambier gearbeitet hat. „Ich wollte das nicht ohne ihre Zustimmung machen“, sagt Schwarzkopf. Auch Sedia Kijera weiß, dass es einen Song über sein Schicksal gibt. „Wir stehen in schriftlichem und telefonischem Kontakt, und als ich ihm davon erzählte, war er sehr berührt.“
„Can A Song Save A Life“ ist der Titel eines Kinofilms aus dem Jahr 2013. Schwarzkopf ist davon überzeugt, dass Musik die Kraft hat, Weichen anders zu stellen. „Und ich hoffe, dass mein Song aufrüttelt und Menschen, und die Politik dazu bringt, Sedia hier dauerhaft eine Heimat zu geben.“