Sanja Haupt und ihr Mann Holger hätten im Juli zehnten Hochzeitstag gefeiert. Foto: Caroline Holowiecki
Statt mit ihrem Mann Holger zehnten Hochzeitstag zu feiern, musste Sanja Haupt aus Denkendorf seine Urne zu Grabe tragen. Seitdem lebt die Mutter dreier Kinder im Funktionsmodus.
Caroline Holowiecki
17.09.2025 - 18:00 Uhr
Holger ist nicht mehr da. Und doch ist er überall. In den Musikinstrumenten im Wohnzimmer, im getrockneten Brautstrauß hoch oben auf dem Regal, am Homeoffice-Arbeitsplatz, den er sich extra zum Stehen installiert hatte, in der Postkarte, auf die ein Kind in krakeliger Schrift „Alles Gute zum Geburtztag lieber Papa“ geschrieben hat, in den Familienfotos an den Wänden.
Sanja Haupt schaut sich im Wohnzimmer ihres Wohnhauses in Denkendorf um. Es ist ein bunter, chaotischer Raum voller Leben, Bücher, Pflanzen, Spielsachen und Basteleien. „Es sieht alles noch genau gleich aus“, sagt sie. Faktisch hat sich aber alles verändert. Am 18. Juli wollte sie mit ihrem Ehemann Holger den zehnten Hochzeitstag feiern. Stattdessen hat sie an dem Tag seine Urne zu Grabe getragen.
Sanja Haupt ist Witwe. Mit 34. Es ist etwas, was auch Wochen später noch ihre Vorstellungskraft übersteigt. „Es fühlt sich an, als würde ich über eine andere Person sprechen“, sagt sie. Am 5. Juli ist Holger Haupt gestorben. Er wurde 46 Jahre alt. Lange Zeit bereits hatte ihn eine chronische Erkrankung der Lunge geplagt und zunehmend eingeschränkt. „Er war immer fit, ist immer Fahrrad gefahren“, erzählt Sanja Haupt, 2019 habe es aber mit Husten und Entzündungsherden in der Lunge angefangen. Eine Odyssee begann. Mal ging es besser, mal schlechter. Immer wieder Infekte, Krankenhaus, wechselnde Medikamente. Eine Pilzinfektion zwang Holger Haupt zuletzt zu einem mehrwöchigen Klinikaufenthalt. Am Morgen nach seiner Heimkehr starb er. Plötzlich. „Sie haben über eine Stunde versucht ihn wiederzubeleben.“ Die Kinder haben derweil geschlafen.
Sanja Haupt erzählt ausführlich, gefasst und sachlich. Immer wieder geht dabei ihre Hand zum schlichten goldenen Ehering ihres Mannes, den sie an einer Kette um den Hals trägt. „Ich kann es mir gar nicht leisten auseinanderzufallen, wegen der Kinder“, sagt sie. Funktionsmodus nennt sie das. Der Große ist neun, die Zwillinge sind fünf. Absolute Wunschkinder. „Er war ein unfassbar zugewandter Papa und hat jede freie Minute den Kindern gewidmet“, sagt Sanja Haupt. Trotz des Verlustes sollen sie so normal wie möglich aufwachsen.
Familienangehörige und Freunde unterstützen nach Kräften. „Drei, vier Wochen lang waren wir keine Nacht allein.“ Auch Ehrenamtliche trugen und tragen sie durch den Alltag. Sanja Haupt hebt besonders die Trauerbegleitung des Hospizes und die psychologische Notversorgung durch das DRK hervor.
Im Rathaus Denkendorf wird der jungen Witwe geholfen
In anderen Dingen fühlt sie sich indes allein gelassen. Über die 34-Jährige rollt eine Bürokratiewelle. Witwen- und Halbwaisenrente, Erbschein, Rentenverlauf, Unterhaltsvorschuss. Was beantragt man wo? Welche Dokumente benötigt man wofür? Sanja Haupt sagt, dass ihr Mann zu Lebzeiten alles penibel abgeheftet hat, auch eine Vorsorgevollmacht gab es. Dennoch: Die schiere Masse an Aufgaben überfordert sie. GEZ, Versicherungen und Daueraufträge ummelden, immer wieder Dokumente suchen, „ich fühle mich wie in einem Live-Escape-Game, in dem ich Rätsel lösen muss“.
Eine Mitarbeiterin im Rathaus Denkendorf habe sich viel Zeit zum Sichten der Unterlagen genommen. Zum Glück sei die Gemeinde klein, sagt sie. „Ich denke mir, was machen Leute, die nicht perfekte Muttersprachler sind?“, fügt sie hinzu. Über alles müsse man sich aktiv informieren. „Es gibt nichts, wo man im Sterbefall hingeht und erfährt, das muss man tun.“
Sanja Haupt will in Denkendorf bleiben
Hinzu kommen Finanzsorgen. Holger Haupt war in der Familie der Hauptverdiener, Sanja Haupt ist Lehrerin in Teilzeit. Konten lasse sie derzeit unangetastet, denn „ich habe noch nicht mit den Banken gesprochen“, Klinikrechnungen etwa kommen aber bis heute. Allein die Bestattung habe 10 000 Euro verschlungen. Das Haus, in dem Sanja Haupt und die Kinder leben, ist gemietet. Sie träumt davon, baldmöglichst mit ihren Eltern in ein gemeinsames Mehrgenerationenhaus zu ziehen, um so mehr Unterstützung zu erfahren, idealerweise in Denkendorf. „Wir sind hier verwurzelt.“
Sanja Haupt will andere sensibilisieren. Damit, so sagt sie, „die Scheiße“, die ihr passiert ist, anderen vielleicht erspart bleibt. Paaren rät sie, frühzeitig über das Unaussprechliche zu sprechen und Vorkehrungen zu treffen. Vollmachten, Patientenverfügung, Testament – die Klärung großer Fragen zu Lebzeiten sei essenziell, vor allem für Eltern. „Ich habe gleich zu meinen Freundinnen gesagt: Regelt das.“ Auch Passwörter müssten irgendwo notiert sein, am besten sei es, einen kompletten Notfallordner anzulegen. Lebensversicherungen sollten abgeschlossen werden, wenn man jung und gesund sei. Denn ja, man weiß nie. „Ich bin 34 Jahre alt. Darauf wird man nicht vorbereitet.“
Unterstützung
Spendensammlung im Internet Eine Freundin hat unter dem Titel „Jetzt ohne Papa – wir brauchen deine Unterstützung“ für Sanja Haupt und ihre Kinder über die Online-Plattform GoFundMe eine Spendensammlung initiiert. „Wir möchten die Familie in dieser schweren Zeit gern unterstützen, sodass sie ein paar Sorgen weniger haben dürfen. Die Zeit der Trauer sollte nicht zusätzlich von Unsicherheiten belastet sein“, heißt es dort.
Hilfe Betroffenen Personen in einer ähnlichen Situation empfiehlt Sanja Haupt die Website www.verwitwet-alleinerziehend.de. Dort werden insbesondere finanzielle Aspekte beleuchtet.