Enttäuschte SPD-Wähler stehen dieses Jahr im Mittelpunkt aller FDP-Bemühungen. Als Christian Lindner den Plan erklärte, war auch von Daimler-Mitarbeitern die Rede.

Stuttgart - Das wird ein ungewohntes Bild. Am 30. April, einem Tag vor dem Tag der Arbeit, wird sich die FDP aufmachen, um am bundesweiten Aktionstag vor den Werkstoren ausgewählter Betriebe den deutschen Arbeiter kennen zu lernen. FDP-Chef Christian Lindner hat das auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen, am Montag in Stuttgart, angekündigt.

 

Das Werben um enttäuschte SPD-Wähler soll 2020 im Mittelpunkt aller strategischer Erwägungen der FDP stehen. Als Lindner das angekündigt hatte, etwa am Wochenende im Interview mit unserer Zeitung, war das in Kreisen der erweiterten FDP-Führung zunächst noch auf gelinde Erheiterung, da und dort auch auf offene Skepsis und explizite Kritik gestoßen. Nach Lindners Dreikönigsrede steht fest: Der Vorsitzende meint es ernst.

Die FDP wächst

Noch vor nicht allzu langer Zeit diente das traditionelle Dreikönigstreffen auch der Selbstvergewisserung, dass die Partei noch von Lebensmut beseelt ist. Mit Lebensgeistern muss die FDP derzeit niemand impfen. Die Partei wächst, hat 2019 den Einzug in einen ostdeutschen Landtag – in Thüringen – geschafft, was lange nicht mehr geklappt hatte. Und im Bund gibt es Chancen auf eine Regierungsbeteiligung nach den nächsten Bundestagswahlen. „Wenn das eine Krise ist, möge sie lange dauern“, scherzt Lindner angesichts der Bilanz. Tatsächlich herrscht wieder Zuversicht in der Partei.

„Bleiben wir frei. Denken wir groß“, steht als Schriftzug auf dem Riesenplakat, das einen Blick in ein fernes Universum zeigt und den Hintergrund für die Redner im Stuttgarter Opernhaus bildet. Für Michael Theurer, den baden-württembergischen Landeschef, heißt das ans Regieren denken. Und an eine grün-gelbe Koalition. Das sei „keine Wunschkoalition“, und er mache auch keine Koalitionsaussage. „Aber wenn es die rechnerische Mehrheit gibt, schließe ich Gespräche nicht aus“, sagt er.

Das sagte Hans-Ulrich Rülke beim Dreikönigstreffen

Später unterfüttert Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionschef im Landtag, die Perspektive mit einigen Bedingungen für eine „Reformkoalition“. „Investitionen in die Infrastruktur, nicht in den Konsum“ gehören dazu, „eine Bildungspolitik, die sich an den Kindern orientiert und nicht an den Wunschvorstellungen linker Bildungsideologen“ und eine „Mobilitätspolitik, die sich am Wohlstandserhalt orientiert“, nicht „an Autohassern wie Winfried Hermann“, dem grünen Landesverkehrsminister.

Er hätte es auch mit den Worten der FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg sagen können, die allen „Kampfansagen an die soziale Marktwirtschaft“ begegnen will.

Lindner lädt „Daimler-Facharbeiter“ ein

Das alles sind an diesem Montag Vorspiele für den Lindner-Auftritt. Denn die eigentliche Orientierung gibt der Chef persönlich. Lindner erklärt das anhand des „Daimler-Facharbeiters“, dem er offenbar eine sozialdemokratische Grundgeneigtheit unterstellt. Der sorge sich um den Zustand und die Qualität der Schulen in seinem Wohnort, der frage sich, warum von Lohnerhöhungen so wenig übrig bleibe, und der lasse sich von Claudia Roth nicht die real existierenden Probleme bei der Migration ausreden. „Wenn diese Menschen politisch heimatlos geworden sind, laden wir sie ein“, sagt Lindner. Denn „nicht alle Facharbeiter wollen linke, nicht alle Bauern rechte Politik“.

Auch die Bauern gehören zur neuen Zielgruppe. „Respekt vor Eigentum und Leistung“ soll auch diese Gruppe von der FDP zu überzeugen. Das sei möglich, denn alte Bindungen, in diesem Fall zur Union, würden immer brüchiger. Als Arbeiter- und Bauernpartei kennt man die FDP nicht. So soll man sie kennenlernen.