Eine Realschule in Rottenburg hat den Schülern das Tragen von Freizeitkleidung auf dem Schulgelände verboten. Das hat bundesweit für Schlagzeilen sowie im Netz zu einer heftigen Diskussion geführt – und zur Forderung, auch Lehrer sollten ordentliche Kleidung tragen.

Rottenburg - Es ist nur ein kleiner Punkt in der neuen Schulordnung, aber er hat große Wirkung: Das Jogginghosen-Verbot an der Kreuzerfeld-Realschule in Rottenburg sorgt derzeit bundesweit für Schlagzeilen. Auch auf den Facebook-Seiten von Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung ist eine heftige Diskussion über den Dresscode entbrannt. „Die Kinder verbringen oft den Großteil des Tages an der Schule, warum ist bequeme Kleidung dafür unangebracht? Lernt es sich besser in Jeans?“, fragt etwa Evi H. „Das wird auch Zeit, manchmal sieht es aus, als ob die Jugendlichen aus dem Bett kommen“, findet dagegen Ingeborg E. Und Andreas S. fügt hinzu: „Na, dann mal schauen, ob die Lehrer mal nicht in Jeans kommen werden, sondern sich auch ein bisschen mehr stylen?“

 

Geht es nur um Jogginghosen?

Bei genauerer Nachfrage zeigt sich jedoch: Es handelt sich gar nicht um ein explizites Verbot der Lümmelhosen. Der Schulleiter Hartmut Schänzlin möchte sich zum Thema zwar nicht mehr äußern, das Schulsekretariat verweist aber auf das zuständige Regierungspräsidium (RP) in Tübingen. „Die zentrale Aussage in der Schulordnung lautet: Wir kleiden uns in der Schule angemessen“, sagt Stefan Meißner von der Abteilung Schule und Bildung im RP. Das Regelwerk, das seit 1. Februar dieses Jahres in Kraft ist und unseren Zeitungen vorliegt, umfasst vier Seiten. Unter anderem ist nun der Verzehr von Kaugummis und allerlei Knabberwaren auf dem Schulgelände nicht mehr erlaubt. Zudem sind Energy-Drinks und stark zuckerhaltige Getränke verboten. Der Unterpunkt Kleidung besteht aus gerade mal sechs Sätzen, die unter anderem festhalten, dass sich „unsere schulische Kleidung“ von der Freizeitkleidung unterscheidet. Dass die Kleidung keine beleidigenden oder rassistischen Aufschriften und Symbole enthalten darf. Und dass zudem Kopfbedeckungen, etwa Baseball-Caps, beim Betreten des Schulgeländes abzunehmen sind. Ausdrücklich ausgenommen davon sind Kopfbedeckungen, die aus religiösen Gründen getragen werden.

Wer definiert, was angemessen ist?

Kein Aufreger, könnte man meinen. Doch führen Schulen Kleiderordnungen ein, hat das jedes Mal Erregungspotential. Über Mode und modische Verfehlungen lässt sich nun mal lange diskutieren. Auch darüber, ob es ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte ist, wenn man vorschreibt, was zu tragen ist. Und letztlich wäre auch zu definieren, was „angemessen“ eigentlich bedeutet: Sind Muscle-Shirts in Ordnung, Miniröcke aber nicht? Ist ein Baseball-Cap akzeptabler als ein tiefer Ausschnitt? Im Netz reicht die Bandbreite der Reaktionen von „Mich wundert, dass nicht alle Schulen diese Regeln einführen“ bis zu „Wer Jogginghosen verbietet, hat die Kontrolle über seine Schüler verloren“.

Was früher nur ein Streit zwischen Kindern und Eltern war, der oft genug mit den Worten „So gehst du mir nicht aus dem Haus“ endete, ist spätestens seit 16 Jahren Gegenstand der öffentlichen Debatte. Denn 2003 hatte eine Gesamtschule in Sehnde bei Hannover die Eltern schriftlich aufgefordert, auf die Kleidung ihrer Kinder zu achten. Der Hintergrund: Eine 13-Jährige war nur mit Bustier im Unterricht aufgetaucht. Seitdem verabschieden Schulen immer mal wieder Kleiderordnungen, auch in Baden-Württemberg. Im Juli 2015 etwa sorgte die damalige Werkrealschule Altheim in Horb am Neckar (Kreis Freudenstadt) mit einem Hotpants-Verbot für Furore. Die Schule reagierte und ließ schließlich die Schüler selbst eine Regel beschließen: Hausschuhe, Bademode, bauchfrei, Baggy-Trousers und Stöckelschuhe waren fortan tabu. Auch an vielen Stuttgarter Schulen müssen die Kinder und Jugendlichen den Unterricht, je nach Hausordnung der jeweiligen Schule, „in angemessener Kleidung“ besuchen.

Dürfen Schulen Hausordnungen festlegen?

Doch ist die Festlegung derartiger Spielregeln gesetzlich erlaubt? Das fragen sich auch viele User. „Ja“, antwortet der RP-Sprecher Meißner: „Wenn sie mit dem Grundgesetz und der Landesverfassung vereinbar sind, hat jede Schule die Möglichkeit dazu.“ Auch Christine Sattler, Sprecherin des baden-württembergischen Kultusministeriums, bestätigt: „Die Hausordnung legt die jeweilige Schule fest. Sofern alle Beteiligten einverstanden sind, spricht nichts dagegen.“ Landesweite Vorschriften allerdings wären „nicht zielführend“ und zudem „nicht mit dem Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit vereinbar“. In der Kreuzerfeld-Realschule, die knapp 500 Schüler zählt, sei das vierseitige Regelwerk von der Schulkonferenz festgelegt worden, sagt Meißner: „Also von Vertretern der Eltern, Lehrer und Schüler.“ Unter den Schülern habe es kaum Protest gegeben: „Am Schluss konnten sich alle damit arrangieren.“ Und nur ein einziges Elternteil habe näher nachgehakt. „Dass eine Schule es sich zur Aufgabe macht, zu vermitteln, dass es unterschiedliche Kleidung für unterschiedliche Anlässe gibt“, findet Meißner gut. So lernten die Kinder und Jugendlichen, sich in bestimmten Situationen im Leben, etwa später im Beruf, angemessen zu kleiden und zu verhalten.

Und wie treten die Lehrer auf?

Für Axel Dammler, den Geschäftsführer des Münchner Marktforschungsinstituts Iconkids & Youth, sind Kleiderordnungen dagegen albern: „Ein schick gekleideter Schüler ist doch nicht notwendigerweise motiviert. Und umgekehrt einer, der Schlabberlook trägt, nicht unaufmerksam und faul.“ Zudem unterliege Mode dem Wandel: „In diesem Jahr sind Jogginghosen in, im nächsten sind sie vielleicht längst kein Thema mehr.“ Er frage sich daher stets, was für ein Rollenbild hinter derartigen Verboten stecke: Wenn Lehrer bauchfreie Tops als unangemessen empfänden, liege das vielleicht eher an überkommenen Wertvorstellungen. „Und wer definiert eigentlich, was okay ist und was nicht? Gibt es da eine Modepolizei?“, fragt der Jugendforscher. Formulierungen wie „angemessen“ oder „passend“ seien ohnehin schwammig. Gegen Schulordnungen, die den Umgang miteinander festlegen, habe er nichts – sofern sie „klar formuliert sind“. Und auch der Idee einer Schuluniform kann Dammler etwas abgewinnen: „Da geht es darum, den Markendruck zu lindern und ein Wir-Gefühl herzustellen.“ Seiner Ansicht nach sollten sich Schulen aber eher fragen, wie sie auftreten, sprich: „Wie sind eigentlich die Lehrer gekleidet?“