Manche Arbeitgeber verzweifeln fast: Sie haben Stellen zu vergeben, aber keiner bewirbt sich. Friseur Ali Kara aus Bad Cannstatt etwa such seit Jahren vergeblich Mitarbeiter. Seine Branche leidet unter Niedriglöhnen und Schwarzarbeit.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Stuttgart - Ali Kara will es beweisen, nicht nur erzählen. Er zieht einen Aktenordner aus dem Schrank. Dessen Dicke zeugt von seiner eigenen Not wie der seiner Branche. Kara hat darin die Unterlagen von mehr als 100 arbeitslosen Friseuren abgeheftet, vorgeschlagen von der Arbeitsagentur. Das älteste Papier ist fast acht Jahre alt. Im Juni 2010 hat Kara seinen Friseursalon eröffnet. Drei Monate später begann er, Mitarbeiter zu suchen. Von jenen 100 kam eine einzige Kandidatin zum Bewerbungsgespräch. „Sie hat gesagt, eigentlich will sie nicht arbeiten“, erzählt Kara. Weiter hinten im Ordner blättert er seine Stellenanzeigen durch. Es sind Dutzende. „Was soll ich noch versuchen?“, fragt er.

 

„Wir können uns nicht alle gegenseitig die Haare schneiden“, hatte 2002 Gerhard Schröder geunkt. Sofern sich die Branche weiterhin so entwickelt wie in jüngster Zeit, könnte der Altkanzler Mühe bekommen, jemanden zu finden, der ihn frisiert. Karas vergebliche Suche „ist typisch, damit beschäftige ich mich Tag für Tag“, sagt Pia Schmitt von der Arbeitsagentur. „Bei den Friseuren haben wir mehr als doppelt so viele Stellen wie Bewerber.“ Aber immer mehr von ihnen wollen nicht mehr Haare schneiden. „Ein Drittel will eine kaufmännische Umschulung“, sagt sie, „aber bei den Kaufleuten gibt es genug Arbeitslose“.

Der Kunde bleibt treu

Die frohe Botschaft für Friseure verkündete jüngst die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Gemessen an einer Umfrage bleibt ein Kunde treu, wenn er einmal gewonnen ist: 26 Prozent der befragten Frauen würden eher ihren Mann betrügen als ihren Friseur wechseln. „Die Kunden zu werben wäre nicht das Problem“, sagt Kara. Durch sein Schaufenster sieht er direkt auf den Haupteingang des Bahnhofs in Bad Cannstatt. „Das ist eine Eins-a-Lage“, meint er. 100 000 Euro hat Kara einst in seinen Salon investiert. An der Wand stehen vier Friseurstühle. Auf dreien stapelt sich Krimskrams. Er braucht eben nur einen.

An mangelndem Ehrgeiz ist er sicher nicht gescheitert. Er kam 1995 als kurdischer Asylbewerber aus der Türkei nach Deutschland im Alter von 19 Jahren. Sein Ziel war immer die Selbstständigkeit.

Mit Kamm und Schere Karriere?

Als er es erreicht hatte, sollte sein Geschäft mit sechs Mitarbeitern in zwei Schichten brummen. Mit dem Gewinn wollte er einen zweiten Salon eröffnen. So stand es in einem Businessplan, den die Bank für den Kredit verlangte. Im nächsten Monat zahlt er die letzte Rate. „Gott sei Dank“, sagt er, „ich arbeite nur für den Kreislauf“. Gemeint sind die Raten, seine 3000 Euro Miete, Abgaben, Steuern, Strom, Wasser. Der Rest reicht für seine Ein-Zimmer-Wohnung und ein Auto.

„Mit Kamm und Schere machst Du Karriere“, verkündet der Fachverband Friseurhandwerk und lässt, um der Nachwuchswerbung willen, den Hobbymusiker Izzwo rappen: „Der Job ist eine Lebensart.“ Allerdings reimt Izzwo auch auf Glaser, Bäcker und Zahntechniker. Vielen Branchen fehlt der Nachwuchs. Zurzeit bleibt im Handwerk insgesamt jede zehnte Lehrstelle unbesetzt, aber bei den Friseuren sind es doppelt so viele – nicht zuletzt der schlechten Bezahlung wegen.

Viele Jahre lang keine Lohnerhöhung

Seit 2006 hatten sich die Arbeitgeber zu keiner Tariferhöhung erweichen lassen. Erst in der jüngsten Verhandlungsrunde mit der Gewerkschaft Verdi setzte sich die Erkenntnis durch, dass Reime kein Geld ersetzen. Die zurzeit 3300 Lehrlinge in Baden-Württemberg bekommen seit dem 1. Mai 500 statt 420 Euro im ersten Jahr. Für ausgelernte Berufsanfänger steigt der Tarif von 8,84 Euro, dem Mindestlohn, auf zehn Euro pro Stunde.

Trotzdem „ist die Bezahlung schlecht, ja“, sagt Kara, „aber das ist nicht das Problem, es ist die Schwarzarbeit“. Etliche Bewerber habe er abgelehnt, weil sie ihr Geld bar hätten haben wollen statt auf das Konto. „Anders kann man einen Haarschnitt für acht Euro gar nicht anbieten“, meint Kara, Betrug sei ein Branchensport. Dabei steht ihm das Bundesfinanzministerium zur Seite. Es gehört zu den Unterzeichnern eines Bündnisses gegen die Schwarzarbeit in der Branche. Der Friseurverband schätzt, dass bis zu 20 Prozent des Jahresumsatzes von 6,4 Milliarden Euro am Finanzamt vorbeifließen.