Eine Vereinbarung der niedersächsischen Diakonie mit Verdi und dem Marburger Bund über gemeinsame Tarifverhandlungen hat Modellcharakter.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Verdi und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund feiern es als Durchbruch: Mit der niedersächsischen Diakonie haben sie für die Zukunft gemeinsame Tarifverträge verabredet. Bis April 2014 sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen sein. Als Testlauf sehen sie eine sofortige, mehrstufige Gehaltssteigerung von 5,5 Prozent für die 30 000 Diakonie-Beschäftigten vor; Ärzte bekommen etwas mehr. Das Abkommen wurde am Donnerstag in Hannover vorgestellt.

 

Das Besondere an der Einigung: Sie wurde außerhalb der im kirchlichen Bereich üblichen Arbeitsrechtlichen Kommission und des Dritten Weges erzielt. „Wir betrachten die Gewerkschaften als unseren künftigen Sozialpartner“, sagte der Vorsitzende des Diakonischen Dienstgeberverbandes, Hans-Peter Hoppe. Nun zielen Diakonie und Gewerkschaften in Niedersachsen sogar auf einen landesweiten Flächentarif für die 425 000 Beschäftigten der Sozialbranche. Einen solchen Sozialtarifvertrag gibt es noch in keinem anderen Bundesland. Verdi hofft auf eine Realisierung bis zum Jahr 2020. Zunächst muss aber noch ausgehandelt werden, inwieweit die Gewerkschaften ein Streikrecht ausüben dürfen.

Bahnbrechende Wirkung des BAG-Urteils

Immer klarer zeigt sich die bahnbrechende Wirkung, die das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom November 2012 in der Praxis hat. Kurz nach dem Urteilsspruch wähnten sich noch beide Seiten als Gewinner. Einerseits bestätigte das Gericht den Sonderweg von evangelischer und katholischer Kirche beim Arbeitsrecht – andererseits wurde das Streikrecht der Gewerkschaften in kirchlichen Einrichtungen prinzipiell für rechtmäßig erklärt.

Als unlängst das schriftliche Urteil vorgelegt wurde, entschieden sich Verdi und der Marburger Bund dennoch für eine Verfassungsbeschwerde. Drei Bedingungen hatte das BAG für den Dritten Weg benannt: Erstens muss es eine neutrale Schiedsstelle geben, die dann verbindlich entscheidet – was nicht gängig ist. Zweitens müssen die Entscheidungen über die arbeitsrechtlichen Richtlinien verbindlich sein. „Das gibt es derzeit auch nicht“, sagt die Verdi-Expertin Silke Hansen. „Jeder Träger kann wählen, welche arbeitsrechtliche Richtlinien er haben möchte oder diese einzelvertraglich abändern.“ Drittens sollen sich die Gewerkschaften am Dritten Weg beteiligen dürfen. Dies würden die Arbeitgeber aber so verstehen, „dass sie bestimmen und uns quasi anbieten, wie Verdi sich beteiligen darf“. Vor allem deswegen soll das BAG-Urteil vom Verfassungsgericht überprüft werden. Hansen ist zuständig für einen Kampf mit der Evangelischen Stadtmission Heidelberg um einen Tarifvertrag für 1500 Beschäftigte. Vor einer Woche wurde drei Tage lang gestreikt – für Juni wird ein unbefristeter Streik vorbereitet. Die Arbeitgeber suchen allerdings schon das Gespräch.

Der Chef der Diakonie Baden macht Druck

Vielerorts kommt Bewegung in den vormals betonierten Großkonflikt. Hinter den Kulissen wird miteinander geredet. Der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werkes Baden, Urs Keller, macht sogar Druck: „Auch wenn der Gang vor das Verfassungsgericht auf Seite der Diakonie und der Kirche Verärgerung, Unverständnis oder auch nur Enttäuschung hervorgerufen hat, gehört zur Kultur des gegenseitigen Verstehens zu erkennen, dass eine Gewerkschaft (...) sich nur schwer mit der funktionalen Zuordnung des Streikrechts zur Tarifautonomie abfinden kann, will sie nicht gegenüber ihrer eigenen Klientel an Glaubwürdigkeit verlieren“, schreibt er in „epd sozial“. Von daher sei „unmittelbar das Gespräch insbesondere mit Verdi zu suchen“. Die Öffentlichkeit und die Diakonie-Einrichtungen und ihre Mitarbeiter würden „auf keinen Fall verstehen und akzeptieren können, wenn der Eindruck entstünde, es werde von Seiten der Kirche und der Diakonie auf Zeit gespielt“.