Bald sind Erst- und Zweitstimme gefragt. Hier soll es um kuriose und ernste Beobachtungen und Begleiterscheinungen im Bundestagswahlkampf gehen – als Drittstimme sozusagen. Heute geht es um die Eigenwilligkeit weiblicher Wähler.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - In der AfD sorgen während der finalen Wahlkampfwochen vor allem Frauen für Furore. Die Spitzenkandidatin Alice Weidel lässt sich auf eine Machtprobe mit Fernsehmoderatoren ein und lässt Interviewer ein ums andere Mal im Regen stehen. Frauke Petry wiederum, eine der beiden Parteivorsitzenden, hat den Staatsanwalt an den Hacken. Die Walkürenhaftigkeit ihrer Führungsfrauen schadet der Rechtsaußenpartei offenbar nicht. Zumindest klettern ihre Umfragewerte unentwegt. Das muss an den Männern liegen. Denn bei Frauen sind die Alternativen trotz weiblichem Spitzenduo ausgesprochen unbeliebt. Wenn nur die Frauen wählen dürften, müsste die AfD bis zum 24. September bangen, ob sie überhaupt den Sprung in den Bundestag schafft. Ihr Rückhalt bei Männern ist doppelt so hoch wie der bei weiblichen Wählern.

 

Deren politische Vorlieben unterscheiden sich nicht in jedem Fall so markant von denen der Männer, in der Summe aber schon. Im Falle einer exklusiven Frauenwahl könnte Angela Merkel fast allein regieren. Das zeigt die letzte Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der Stuttgarter Zeitung und des SWR: Merkels CDU kommt bei der weiblichen Hälfte der Befragten auf 49 Prozent (insgesamt auf 42 Prozent). Das würde für eine absolute Mehrheit im Bundestag reichen. Der Charme des Martin Schulz scheint Frauen noch weniger anzusprechen als männliche Wähler. Nur 15 Prozent würden seine SPD wählen (im Durchschnitt: 17). Die Grünen sind bei Frauen ebenfalls beliebter (15 statt 12 bei den Wählern insgesamt).

Frauenbonus für die Herrenpartei

Wer das Wahlprogramm der Union durchblättert, gewinnt keineswegs den Eindruck, ein feministisches Manifest zu lesen – nur weil die Galionsfigur Angela Merkel. Gerade mal eine halbe von 76 Seiten ist da für frauenpolitische Anliegen reserviert. Merkel hat zum Feminismus ein äußerst distanziertes Verhältnis. Als sie unlängst gefragt wurde, ob sie selbst Feministin sei, musste sie lange nachdenken und formulierte dann umständlich eine ziemlich wachsweiche Antwort. So war es von Anfang an. Dabei war Merkel unter Kohl sogar mal Frauenministerin. Doch als sie 2005 Kanzlerin werden wollte, reagierten einschlägig engagierte Geschlechtsgenossinnen eher verhalten. Merkel selbst war wohl bewusst, dass sie sich als Chefin der Herrenpartei CDU (Frauenanteil seit der Wende konstant bei 25 bis 26 Prozent) nicht allzu sehr als Emanze aufspielen durfte. Wohl auch deshalb überließ sie die Frauenpolitik später anderen, zum Beispiel der forschen Ursula von der Leyen. „Wenn Sie mich wählen“, so Merkel Botschaft an die Frauen im Wahlkampf 2005, „sollten Sie mich natürlich auch wegen meiner Überzeugungen und Konzepte wählen und nicht nur wegen meines Geschlechts.“ Die Tatsache, dass sich erstmals eine Frau anschicke, den wichtigsten Machtposten der Republik zu erobern, sei „natürlich auch die Frage wert“, fügte sie hinzu. Das war’s dann auch an emanzipatorischen Parolen.

Auch Bill Clinton und Obama verdanken ihre Wahlsiege Frauen

Aber die Union wurde von Frauen schon immer bevorzugt, da bedurfte es keiner Angela Merkel. Das war bis 1998 besonders deutlich ausgeprägt, hat seither trotz Merkel sogar etwas nachgelassen. Frauen bevorzugten eine ausgewogene, keine provokante Politik, sagt der Potsdamer Wahlforscher Frank Bösch. Sie positionierten sich eher in der Mitte. Das bedeute aber nicht, dass Frauen eher Frauen wählten. Die US-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama verdanken ihre Wahlsiege zum Beispiel auch ihrem Schlag bei weiblichen Wählern.

Heutzutage entscheidet eher das Alter über den Wahlausgang. Menschen über 60 gehen deutlich häufiger zur Wahl. Es gibt obendrein mehr von ihnen als Jungwähler. Unter den Rentnern und Pensionären sind Frauen wiederum überrepräsentiert – wegen ihrer längeren Lebensdauer. Daher rührt ihr vergleichsweise größerer Einfluss bei Wahlen.

Bei Merkel fällt ja auf, dass sie sich definitiv nicht so verhält, wie Machos unterstellen würden: Sie legt keinen Wert auf extravagante Kleidung oder kunstvolle Frisuren, über weiche Themen redet sie selten, ihr Temperament ähnelt eher dem eines stoischen Indianerhäuptlings als dem einer hysterischen Suffragette. Es gibt kein Foto, das sie als Heulsuse zeigen würde. Vielleicht ist eben dies das Geheimnis ihres Erfolgs bei Frauen: Sie ist der amtierende Gegenbeweis zu den Vorbehalten gegen Frauen an der Macht.