Das Oberlandesgericht Stuttgart spricht dem Drogerieunternehmer Erwin Mülller wegen umstrittener Anlagengeschäfte Schadenersatz in Höhe von 45 Millionen Euro zu. Nun könnte der Fall vor den Bundesgerichtshof gehen.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - Keine Minute hatte Markus Kittel, Vorsitzender des 5. Zivilsenats am Oberlandesgericht Stuttgart, gesprochen, dann war dieser Urteilstermin, obwohl er einen jahrelangen Vorlauf hatte, auch schon wieder vorbei. „Die Berufungen des Klägers werden zurückgewiesen“, sagte Kittel und fügte hinzu: „Die Revision wird zugelassen.“ Die Klägerin ist die Schweizer Sarasin Bank gewesen. Sie muss nun 45 Millionen Euro an den Drogerieunternehmer Erwin Müller zurückzahlen – plus Anwaltskosten in Höhe von gut 270 000 Euro. Und plus Zinsen.

 

Vertreter der Frankfurter Anwaltskanzlei, die Sarasin in dem Fall vertritt, waren gar nicht erst angereist. Müllers Anwalt Eckart Seith wollte keinen Kommentar abgeben. So mussten sich die Journalisten, die gekommen waren, mittels einer vorbereiteten Presseerklärung des Gerichts näher über die Zusammenhänge dieses Urteils informieren. Sarasin-Vertreter hatten Erwin Müller nach Verhandlungen, die im März 2010 in Ulm begannen, 50 000 Anteile am Luxemburger Sheridan Fonds zum Preis von rund 50 Millionen Euro verkauft, verbunden mit der Zusage einer jährlichen Rendite von bis zu zwölf Prozent. Angeblich, wurde Müller seinerzeit vorgegaukelt, sei dessen Millioneneinlage durch den Versicherer Allianz vor Verlust geschützt.

„Hochriskant und steuerlich umstritten“

Das Geschäftsmodell des Fonds, befand nun auch der Stuttgarter Zivilsenat, seien so genannte Cum-Ex-Geschäfte gewesen, auch als „Dividendenstripping“ bekannt. Die Geschäfte seien „hochriskant und steuerlich umstritten“ gewesen, so das Gericht in der schriftlichen Urteilsbegründung. Richter Kittel war es wichtig hinzuzufügen, dass die Staatsanwaltschaft Köln wegen der Cum-Ex-Geschäfte ein Großermittlungsverfahren gegen eine Reihe von Verdächtigen führt, unter anderem auch gegen einen Mitarbeiter der Sarasin-Bank.

Schon das Landgericht Ulm hatte in seinem Urteil vom vergangenen Jahr die wichtige Frage, ob der gewiefte Unternehmer Müller nicht doch wusste, was er tat, verneint. Müller sei von Anfang an über das Wesen und Risiko des Sheridan-Geschäftsmodells „unzureichend informiert worden“, befand nun auch der Stuttgarter Senat. Womöglich, weil die Sarasin-Bank selber das von ihr vertriebene Anlageprodukt „nicht hinreichend mit banküblichem kritischen Sachverstand in steuerlicher und wirtschaftlicher Hinsicht geprüft“ habe, so Richter Kittel. Die Formulierung stellt einen gezielten Betrug immerhin in Frage. Jedoch habe die Bank durch ein internes Gutachten gewusst, dass Cum-Ex-Geschäfte rechtlich „höchst zweifelhaft“ waren.

Bei den Deals ging es darum, nach Aktienkäufen und -verkäufen aus dem Ausland gleich mehrere Anträge auf Rückerstattung der Kapitalertragsteuer an die Bundesfinanzkasse zu schicken. Zudem sei Sarasin bekannt gewesen, dass das Bundesfinanzministerium „gewillt war, angeblichen Steuermissbräuchen entschlossen entgegenzutreten“. 2012 schloss der damalige CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble die Überwachungslücke. Der Sheridan Fonds, dessen Einlagen da schon unauffindbar waren, platzte. Müller bekam außergerichtlich gerade noch fünf Millionen Euro zurück.

Bank soll bewusst verschwiegen haben

Alle wichtigen Vorbehalte sind Erwin Müller nach Überzeugung des Gerichts beim Abschluss des Handels 2010 bewusst durch die Bankenvertreter – unter ihnen der längst abgetretene Banken-Vize Eric Sarasin – verschwiegen worden. Ob dem Unternehmer ein Verkaufsprospekt für den Fonds ausgehändigt wurde oder nicht, sei angesichts dessen nicht mehr erheblich.

Ob der Streitfall damit vorüber ist, lässt sich allerdings noch nicht sagen. 2015, als das OLG sich zunächst mit der Frage beschäftigen musste, ob Müllers Klage in Deutschland oder der Schweiz geführt werden müsse, hatte der Senat die Revision noch ausgeschlossen. Sarasin hatte daraufhin Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) erhoben, scheiterte jedoch. Diesmal jedoch ließ Richter Kittel den Weg zum BGH ausdrücklich offen. Immer noch behaupten zumindest einige verwickelte Bankenvertreter, es sei nicht kriminell gewesen, die Schludrigkeiten der Finanzverwaltung in Bezug auf die Ausschüttung von Kapitalertragsteuern auszunutzen. Ein letztinstanzliches Urteil in Deutschland fehlt dazu bisher. Gut möglich also, dass dieser seit 2013 währende Rechtsstreit vor dem BGH weitergeht.