Drohende Aufblähung Der Landtag sollte Einsicht zeigen

Der Stuttgarter Landtag – immer voller? Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Noch gäbe es die Chance, ein Riesen-Parlament zu verhindern. Wer ergreift dazu die Initiative? Für Özdemir oder Hagel könnte das eine Chance sein, meint unser Kommentator.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Politiker sagen gerne, sie seien in die Politik gegangen, um das Leben der Menschen zu verbessern. Die gute Absicht sollte man niemandem absprechen, sie umzusetzen gelingt mal mehr, mal weniger. Zu oft hat man zum Beispiel bei Abgeordneten den Eindruck, es gehe ihnen erst einmal darum, das eigene Leben zu verbessern. Propagiert wird das Gemeinwohl, verfolgt werden auch durchaus eigennützige Ziele.

 

Der Stuttgarter Landtag hätte nun eine schöne Gelegenheit, diesen Verdacht zu entkräften. Die Reform des Wahlrechts, die eine Mehrheit von Grünen, CDU und SPD beschlossen hat, scheint von löblichen Motiven geleitet: Mehr Frauen und junge Leute sollen dank Zweitstimme und Landeslisten ins Parlament gebracht werden. Entscheidend ist freilich, wen die Parteien vor Ort nominieren; die Grünen-Fraktion ist schon heute zur Hälfte weiblich. Und der höhere Einfluss der Parteizentralen ist zwiespältig, er fördert konforme, nicht unabhängige Kandidaten.

Möglichst viele Posten für Parteifreunde?

Hinter der Reform darf man auch das Kalkül vermuten, möglichst viele der eigenen Leute mit einem lukrativen Mandat zu versorgen. Dass der schon jetzt übergroße Landtag kräftig weiter wächst, wird billigend in Kauf genommen. Statt der absolut ausreichenden Sollgröße von 120 können es 180 oder mehr als 200 Sitze werden. Doch was seriöse Wissenschaftler vorrechnen, scheint das Parlament – vorneweg Präsidentin Aras und die Fraktionschefs – nicht zu kümmern. Sie verschließen die Augen vor der absehbaren Aufblähung und tun die Szenarien als bloße Spekulation ab; es werde schon nicht so schlimm kommen. Zugleich planen sie einen Umbau des Plenarsaals, um noch weitaus mehr als die derzeit 154 Abgeordneten dort unterzubringen. Überprüfen wollen sie die Reform erst nach der Wahl 2026, wenn die Prognosen eingetroffen sein sollten. Darauf lässt man es einfach mal ankommen.

Verantwortungsbewusst ist das nicht, schon gar nicht in Zeiten, da die Demokratie wie nie unter Druck steht. Mit seinem sturen Ignorieren des Problems fördert der Landtag die Politikverdrossenheit. Seit die drohende Aufblähung stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen ist, leidet das Ansehen das Parlaments. Kopfschüttelnd registrieren viele Bürger, wie abgehoben die Abgeordneten in eigener Sache agieren. Nun schlägt ihnen auch aus der Wirtschaft geballtes Unverständnis entgegen. Nötig seien weniger Bürokratie, nicht noch größere Parlamente und Verwaltungsapparate, mahnen Verbände und Organisationen einhellig.

Aussetzen der Reform wäre geboten

In den nächsten Monaten und Jahren wird die Politik - egal, wer regiert – den Menschen einiges zumuten. Umso wichtiger wäre es für die Glaubwürdigkeit der Politiker, mit gutem Beispiel voranzugehen. Das laufende Volksbegehren gegen den XXL-Landtag muss das Parlament wohl nicht fürchten. Zu hoch ist die Hürde von 770 000 Unterschriften, zu gering das Interesse vieler Menschen an der Landespolitik. Gleichwohl wäre ein Einlenken geboten. Man könnte die Wahl 2026 nach dem alten Wahlrecht stattfinden lassen und die Reform dann noch einmal in Ruhe prüfen. Wenn der Landtag nicht als Ganzes die Kraft dazu findet, läge darin eine Chance für die Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien. Der Grüne Cem Özdemir kommt aus einem Parlament – dem Bundestag –, das nach langem Ringen endlich die Zahl der Abgeordneten beschränkt hat. Und für die CDU und ihren Frontmann Manuel Hagel waren die Änderungen ohnehin keine Herzenssache. Wenn einer von beiden – oder besser beide zusammen – für ein Aussetzen sorgen würden, hätte die Wahl 2026 schon heute einen Gewinner: die Bürgerinnen und Bürger und die Demokratie.

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