Im Untersuchungsausschuss degradiert sich Thomas de Maizière zum akribischen Handlanger der Verwaltung und gibt seinen Vorgängern die Schuld für das Scheitern des Euro-Hawk-Projektes.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Das Kamerateam draußen auf der Hochbrücke über der Spree hat den richtigen Moment erwischt. Drinnen im Saal 4900 nimmt der SPD-Abgeordnete Rainer Arnold Thomas de Maizière erstmals zum „Thema Wahrheit“ in die Mangel. Da hat der Verteidigungsminister schon eine gute Stunde geredet, hat vorgetragen, dass die entscheidenden Fehler beim Euro Hawk von seinen Vorgängern gemacht wurden und der Großteil der Millionen bei seinem Amtsantritt schon ausgegeben war. Er bedauerte zwar, zu dem irrigen Eindruck beigetragen zu haben, dass er rein gar keine Ahnung von der Problematik gehabt habe. Selbstverständlich sei er von den Beamten seines Hauses bei mehreren Gelegenheiten mit Vorlagen zum Thema versorgt worden – diese seien aber nicht entscheidend gewesen.

 

Die Journalisten mit der Fernsehkamera haben den weiten Weg auf die Spreebrücke trotzdem umsonst gemacht. Von dem Moment, in dem das Kreuzverhör beginnt und der SPD-Mann Arnold seine Fassungslosigkeit über die Angaben des Ministers zur Kenntnis gibt, können sie kein Bild einfangen, obwohl sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, denn anders als in der Bruthitze der vergangenen Tage haben die hilfreichen Geister des Verteidigungsausschusses gestern trotz dicker Bewölkung nicht nur die Sonnenblenden, sondern auch die Jalousien heruntergelassen. Deshalb gibt es am Ende keine Bilder von dem Minister, der sich bei ruhigem Ton und souveräner Haltung doch argumentativ winden muss, um feinsinnige Linien zwischen Vorlagen und Unterlagen zu ziehen; um darzulegen, wann er was wusste oder nicht wusste; um nicht abzustürzen auf dem schmalen Grat zwischen seiner selbst proklamierten Ahnungslosigkeit beim Euro Hawk und seinem Bemühen, das Bild eines halbwegs kompetenten Ministers aufrechtzuerhalten.

Im März galt de Maizière noch als Kanzlerhoffnung der CDU

Es ist noch gar nicht lange her, als ein Buch („Damit der Staat den Menschen dient“) über Thomas de Maizière vorgestellt wurde. Franz Müntefering, scheidender Fahrensmann der Sozialdemokraten mit bestem Ruf, hat die Laudatio übernommen und große Worte nicht gescheut. Nichts weniger bescheinigte der Sozi dem Unionsmann, als dass der von der „Kunst des Regierens“ etwas verstehe. Damals im März galt de Maizière noch als künftige Kanzlerhoffnung der CDU, wenn es mit Merkels Macht irgendwann zu Ende ginge.

Nicht nur das Lob Münteferings war de Maizière damals sicher. In seiner Partei und im Kabinett war der Sohn des früheren Generalinspekteurs Ulrich de Maizière unangefochten. In den Meinungsumfragen hatte er sogar an die Beliebtheitswerte seines über die Plagiate in der Doktorarbeit und die dazugehörigen Unwahrheiten gestolperten Vorgängers Karl-Theodor zu Guttenberg anknüpfen können.

Solide statt populistisch

Das hatten im März vor zwei Jahren, als de Maizière den Chefsessel im Bendlerblock übernahm, nicht einmal diejenigen erwartet, die drei Kreuze schlugen, als der halbseiden schillernde, populistische Freiherr durch die Inkarnation seines Gegenbilds ersetzt worden ist: dem soliden, seriösen und fleißigen Thomas de Maizière, der verschiedenste Regierungsämter ausgeübt und dabei eben nicht den Ruf der sprichwörtlichen „Büroklammer“, sondern des vertrauenswürdigen Regierungshandwerkers erworben hatte.

Er übernahm die Kommandogewalt über die Bundeswehr, zog die von seinem Vorgänger konzipierte Verkleinerung der Truppe unverändert durch, setzte die Wehrpflicht aus, und es kehrte Ruhe ein. Natürlich hat er sich ein paar Schrammen zugezogen. Er kämpfte mit Finanznöten und überdimensionierten Rüstungsvorhaben. Er verhob sich mit dem Versprechen, die Soldaten würden früh über ihre persönlichen Versetzungen informiert. Seine Vorstellung von einer Veteranenpolitik stiftete Unruhe und fand weder unter den Soldaten noch im Parlament Anklang.

Zweifel an seinem politischen Fingerspitzengefühl

Irgendwann begann es zu grummeln in der Truppe. Die Stimmung wurde schlechter. Als de Maizière dann auch noch öffentlich kritisierte, die Soldaten „gierten nach Anerkennung“ war ein Tiefpunkt erreicht. Da half auch sein Eingeständnis wenig, sich im Ton vergriffen zu haben. Sein Ruf als Menschenführer war in der Truppe beschädigt. Dass er Kampfdrohnen als „ethisch neutrale“ Waffe bezeichnete, ließ erstmals Zweifel an seinem politischen Fingerspitzengefühl wachsen.

Gleichwohl ist Münteferings Prädikatszeugnis jüngeren Datums. Aus heutiger Sicht ist es ein merkwürdig vielsagendes Bild, wie de Maizière bei der Buchpräsentation im Frühjahr vor einer Stellwand mit seinem Porträtfoto saß, denn der abgebildete Kopf war viel größer als der echte. Nachdem das Debakel mit der Aufklärungsdrohne Euro Hawk über den Minister hereingebrochen ist, drängt sich die Frage auf, ob das Verhältnis zwischen dem großkopfeten Abbild und dem Original der Relation zwischen dem Image und der politischen Substanz des Ministers entspricht. Liefert er also doch nur Murks und keine Kunst beim Regieren?

„Auf den sollen wir nur wegen diesem dämlichen Flugzeug verzichten?“ Das wollte ein Unionsanhänger nach einem der Redeauftritte wissen, die de Maizière in der vergangenen Woche beim Wahlkampf im Schwäbischen absolviert hat. Wer sich erinnert, dass unter seinen Amtsvorgängern so gigantische Rüstungsvorhaben wie die Ausstattung der Bundeswehr mit Computertechnologie an die Wand gefahren wurden, könnte geneigt sein, de Maizières Entscheidung zum Euro Hawk und sein miserables Krisenmanagement als Lappalie abzutun. Doch das ist das „dämliche Flugzeug“ nicht, weil es Schwächen und Fehlentscheidungen de Maizières wie unter einem Brennglas erkennbar werden lässt.

Das Schlüsselprojekt Euro Hawk

Wenn der Untersuchungsausschuss zum Euro Hawk bisher eines gezeigt hat, dann ist das, dass die einzelnen Verwaltungsstellen fast alle fleißig und engagiert an ihrer jeweiligen Baustelle gearbeitet haben und dass es an der politischen Verknüpfung der Informationen fehlte. Nun kann de Maizière bei 1200 Rüstungsprojekten – darunter 31 besonders wichtigen – nicht alle Einzelheiten kennen und nicht über alles informiert sein. Aber sicherheitspolitisch ist der Euro Hawk nun einmal ein Schlüsselprojekt. Da hätte der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt sich längst jenseits des Dienstweges, den Vorlagen und Vermerke so nehmen, dafür interessieren müssen.

Aber selbst jetzt, im Ausschuss, kämpft de Maizière sich wieder nur durch das Dickicht von Verwaltungsvorlagen mit „lösbaren“ Problembeschreibungen, die sein Augenmerk – so seine Auffassung – nicht verdient haben. Die Krise, in die die Drohnenproblematik seine Karriere gestürzt hat, währt schon drei Monate. Und noch immer scheint ihm nicht bewusst zu sein, dass er nicht mit diesen Fallstricken zu kämpfen hätte, wenn er mit einer soliden politischen Begründung für sein Tun aufwarten würde. Doch statt politisch zu führen, degradiert er sich bei jedem Auftritt neu zum Exekutor von Vorlagen, als wäre er nur eine Art Handlanger der Verwaltung.

De Maiziere fehlt das Gespür für die Gefahren der Tagespolitik

Viel spricht dafür, dass ausgerechnet der Generalssohn de Maizière unterschätzt hat, was es heißt, die Führung von Bundeswehr und Verteidigungsministerium zu übernehmen. Vielleicht hat seine bisherige Karriere Thomas de Maizière geradezu dazu verführt: Wenn einer Finanz-, Justiz- und Innenminister auf Landesebene war – vom Kultusstaatssekretär in den Anfangszeiten ganz zu schweigen – dann Kanzleramts- und Innenminister im Bund wurde, ist die Versuchung wohl groß, das Verteidigungsministerium für ein Ressort wie jedes andere zu halten. Aber das ist es nicht. Kein anderes Ressort ist für einen so großen Personalkörper wie die Truppe verantwortlich. Kein anderer Minister führt eine Parlamentsarmee, was eine besondere Abhängigkeit vom Bundestag bedeutet und besondere Verpflichtungen – zum Beispiel zur Information – gegenüber den Abgeordneten begründet. Das alles hat de Maizière ignoriert. Niemanden eingebunden zu haben rächt sich in der Drohnenaffäre. Die Bedeutung der vielen militärischen Sachthemen hat er unterschätzt. Gespür für die Gefahren der Tagespolitik und den Gestaltungsspielraum, den es jenseits der Verwaltungsentscheidungen gibt, lässt er in der Drohnenaffäre nicht erkennen.

Hinzu kommen falsche Struktur- und Personalentscheidungen, die de Maizière zu verantworten hat. Mit Stéphane Beemelmans hat er einen Verwaltungsfex mit minderem Sensorium für politische Risiken und ohne fundierte Kenntnisse des Militärischen zum entscheidenden Mann und zum Rüstungsstaatssekretär in seinem Haus gemacht, der seinem eigenen Temperament ähnelt. Der ausgewiesene Rüstungsexperte Rüdiger Wolf musste sich dagegen mit dem Posten als Haushaltsstaatssekretär zufriedengeben. Dass der Generalinspekteur und der Leiter der Abteilung Politik in Berlin als recht unpolitisch gelten und die Inspekteure in Außenstellen verlagert wurden, rundet das Bild von der mangelnden Kompetenzverteilung an der Spitze des Ministeriums ab. Als fatal erweist sich, dass de Maizière den Planungsstab abgeschafft hat, denn der war als politisch-militärisches Aufklärungs- und Frühwarnsystem des Ministers ein institutioneller Ratgeber, der die Vorlagen der Verwaltung aus seiner Perspektive überprüfte und bewertete.

Doch ein solches Frühwarnsystem hat de Maizière nicht. Auch deshalb sitzt er jetzt im Untersuchungsausschuss. Fünf Stunden sind schon vorbei. Die Opposition sieht ihren Informationshunger noch längst nicht gestillt und kündigt noch zwölf weitere Fragerunden an. De Maizière steckt in der Endlosschleife. Er bleibt dabei: von unlösbaren Problemen habe er nichts gewusst, seine missverständliche Formulierung bedaure er. Sonst hat er sich – aus seiner Sicht – nichts vorzuwerfen.