Leni Hoffmann sprengt in ihren Arbeiten gern Kategorien und Dimensionen. Bei „Pizzicato“ hat sie jetzt gleich 45.000 Exemplare der StZ zu Kunstwerken gemacht.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wenn es um Kunst geht, hat Leni Hoffmann radikale Ansichten. Als Künstler einsam im Atelier vor sich hinzuarbeiten, hält sie für hoffnungslos veraltet. Sich ins Atelier zurückzuziehen und „herum zu pinseln“, wie sie es spöttisch nennt, ist für sie „19. Jahrhundert“. Wenn Leni Hoffmann künstlerisch tätig wird, so nicht zurückgezogen im Atelier, sondern mitten im Alltag.

 

In der Nacht zu Dienstag hat sich die Düsseldorfer Künstlerin sich ein Atelier besonderer Art ausgesucht: Hoffman war in der Druckerei der Stuttgarter Zeitung zu Gast, wo sie ein Kunstwerk geschaffen hat, dass alle Dimensionen und Kategorien sprengt. Sie hat die Stadtausgabe der StZ mit abstrakten Zeichnungen versehen. Über mehrere Stunden hinweg stand Hoffmann in der Möhringer Druckerei an der laufenden Rotation und ließ Farbe auf die durch die Maschine jagenden Papierbahnen tröpfeln.

Damit ist jede von ihr bearbeitete Zeitung vom heutigen Tag letztlich ein Unikat, jedes Exemplar hat andere Farbspuren in CMYK – also Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz. Am Donnerstag kann man sich seine persönliche StZ im Kunstmuseum Stuttgart sogar von der Künstlerin signieren lassen – womit die vergängliche Tageszeitung endgültig in ein künstlerisches Produkt verwandelt wird.

Leni Hoffmann will den Kunstbegriff erweitern

Die nächtliche Aktion in der StZ ist nicht das erste Projekt, das die Karlsruher Kunstprofessorin mit einer Zeitungsredaktion realisiert, denn die Künstlerin denkt gern groß und auch über Grenzen hinweg. 1997 hat sie das Projekt „Pizzicato“ gestartet – das sie auch noch über viele Jahre hinweg fort entwickeln will. Hinter „Pizzicato“ steckt die Idee, den Kunstbegriff zu dehnen und zu strecken, ihn zu überlisten, auszuweiten und zu konterkarieren – was Hoffmann letztlich bei all ihren künstlerischen Projekten versucht.

Die StZ-Aktion findet im Rahmen der Ausstellung „Kubus. Sparda-Kunstpreis“ im Kunstmuseum Stuttgart statt. Leni Hoffmann, Myriam Holme und Corinne Wasmuht wetteifern in diesem Jahr um den Preis, mit dem Künstler aus Baden-Württemberg ausgezeichnet werden. Jede Künstlerin präsentiert sich auf einer Etage des Kunstmuseums. Leni Hoffmann hat im Obergeschoss aus Knete riesige Ovale in verschiedenen Farben auf dem Boden ausgerollt – um auch damit den Kunstbegriff neu auszuhandeln. Denn die endgültige Arbeit entsteht hier nicht mehr allein durch die Künstlerautorität, sondern erst durch die Nutzung der Besucher. Sie hinterlassen ihre Fußabdrücke in der Knetmasse und geben den Farbscheiben am Boden damit erst ihre eigentliche Form. Damit teilen sich alle Besucher gemeinsam die Autorschaft an dieser Arbeit.

Das ist, was Hoffmann interessiert: Sie will das Bild, das traditionell an der Wand im Rahmen hängt, von der Fläche in den Raum hinein erweitern. Und sie will ihre Arbeiten auch nicht mehr allein als Künstlerin verantworten, sondern sie durch ein Kollektiv entstehen lassen. „Grundsätzlich wird in meiner Arbeit Handlung zu Form“, erklärt Leni Hoffmann, die auch bei ihrer nächtlichen Druckaktion Mitstreiter gesucht hatte, ihre Schwester, einen Mitarbeiter der Druckerei und Ulrike Groos, die Direktorin des Kunstmuseums. „Es ist wie bei Jimi Hendrix“, sagt Leni Hoffmann. „Ich bin Jimi Hendrix, aber ohne die Crew würde nichts laufen.“

Jedes Zeitungsexeplar wird als Einzelstück konfektioniert

Im Grunde will Hoffmann mit „Pizzicato“ nichts anderes tun als das, was die Leserinnen und Leser der StZ tagtäglich tun: Sie „konfektionieren“ ihr Zeitungsexemplar, wie Hoffmann das nennt. „Einer kleckert vielleicht darauf, einer faltet die Zeitung, der andere knüllt sie“, sagt sie. Damit finde eine Vereinzelung statt – und aus dem, was zunächst ein einheitliches Gleiches war, werde ein Unikat. Indem Leni Hoffmann über mehrere Stunden japanische Tinte auf die Zeitung laufen ließ, hat sie jedes von immerhin 45 000 Zeitungsexemplaren als ein Einzelstück konfektioniert.

Aber der schlichte, händische Eingriff in der hoch technisierten Rotation hat für die Künstlerin auch eine inhaltliche Dimension. Denn ihre Zeichnungen „katalysieren“ jetzt einzelne Nachrichten, schließlich drückt die Farbe auch auf die Rückseiten der Zeitungsseiten durch und markiert die dort stehenden Texte. Auch wenn Hoffmann innerhalb eines klar definierten Rahmens gezeichnet hat – nämlich einer festgelegten Zeitungsspalte –, ist das Ergebnis weitgehend vom Zufall gesteuert. Die Steuerungsmöglichkeiten waren begrenzt, als sie verschiedenen Tinten über dünne Schläuche auf die vorbei jagenden Papierbahnen fließen ließ. „Es gibt eine gewisse Einflussnahme“, sagt die Künstlerin, „aber das Geschehen und die Abfolge sind der Entscheidungsgewalt abgenommen.“

Auch in Zeitungen spiel der Zufall eine Rolle – in Form unkontrollierbarer Ereignisse

Das ist, war der Künstlerin besonders gefällt und weshalb es sie immer wieder zu Zeitungen zieht. Denn auch bei einer Zeitung spielt der Zufall eine große Rolle. So mag die Redaktion die Inhalte auswählen, das tägliche Blatt ist aber letztlich Ergebnis der unkontrollierbaren Weltereignisse.

„Durch diesen kleinen, händischen Eingriff wird nicht nur die Nachricht katalysiert“, sagt Hoffmann, „sondern wird das Medium auch selber thematisiert.“ Das ist für die Künstlerin nicht nur eine radikal neue Art der Malerei, sondern auch ein politisches Statement, weil sie eben nicht eine Leinwand gestaltet, sondern mit ihren Interventionen in den öffentlichen Raum drängt. „Mich interessiert die Verfügbarkeit des öffentlichen Raumes und die Möglichkeit des Einzelnen, innerhalb der Gesellschaft zu wirken“, sagt sie, weshalb „Pizzicato“ denn auch „ein Kredo für den mündigen Bürger“ sei.

Signierstunde: Am Donnerstag signiert Leni Hoffmann von 16 bis 18 Uhr im Kunstmuseum die gestalteten StZ-Exemplare. Wer ein solches vorlegt, erhält in dieser Zeit für zwei Personen freien Eintritt.

Ausstellung: Das Kunstmuseum Stuttgart zeigt „Kubus. Sparda-Kunstpreis im Kunstmuseum Stuttgart“ bis zum 18. Juni (Dienstag bis Sonntag 10 - 18, Freitag 10 – 21 Uhr).

Preis: Der Kubus-Kunstpreis vom Kunstmuseum und der Sparda-Bank wird am 30. Mai um 19 Uhr im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Kunstmuseum verliehen werden. Neben Leni Hoffmann gehen die Künstlerinnen Myriam Holme und Corinne Wasmuht ins Rennen.