Der Leipziger Künstler Max Klinger hat in seinen Arbeiten Gesellschaftskritik, Geschlechterkampf, Humor und fantastische Elemente verquickt. Die Galerie Stihl Waiblingen zeigt anlässlich seines 100. Todestags seine Druckgrafiken.

Waiblingen - Auf diesen Bildern tobt das Leben. Von diesem Samstag an sind in der Galerie Stihl Waiblingen Druckgrafiken des Künstlers Max Klinger zu sehen. Der Titel der Ausstellung ist passenderweise „Liebe, Traum & Tod“. Denn der im Jahr 1920 verstorbene Klinger erzählt in seiner ganz eigenen Bildsprache, Blatt für Blatt, allerhand Geschichten: von enttäuschten Ehemännern und „gefallenen“ Mädchen, von ermordeten Liebhabern, verzweifelten Müttern, verliebten Paaren und skurrilen Fantasiewesen.

 

Von Max Klingers insgesamt 14 druckgrafischen Folgen sind in Waiblingen neun in Auszügen und weitere drei komplett zu sehen. Der Zyklus „Ein Handschuh“ zum Beispiel. Er erzählt von den fantastischen Abenteuern eines verlorenen Damenhandschuhs. Die ebenfalls vollständig ausgestellte Folge „Ein Leben“ stellt auf beklemmende Weise den Weg eines jungen, vom Geliebten verlassenen Mädchens dar, das durch dessen Untreue in die Prostitution getrieben wird.

Gevatter Tod verschont keinen

„Vom Tode“ zeigt ganz verschiedene Bilder des Sterbens. Der Sensenmann holt Junge und Alte, Reiche und Arme gleichermaßen: Er bringt Segelschiffe in stürmischem Gewässer zum Kentern, rafft Menschen per Blitzschlag dahin. Selbst das friedlich im Kinderwagen liegende Baby ist vor ihm nicht sicher. „Klinger zeigt, dass der Tod jedes Alter und jede Gesellschaftsschicht treffen kann“, sagt Stephanie Buck. Sie hat „Liebe, Traum & Tod“ zum 100. Todestag Max Klingers kuratiert.

Die Waiblinger Galerie ist nicht die einzige, der dieses Datum als Anlass für eine Ausstellung dient. Auch in München, Bonn und in Klingers Geburtsstadt Leipzig gebe es Ausstellungen für diesen „wichtigen Wegbereiter der Moderne“, sagt die Galerie-Leiterin Anja Gerdemann. Da Max Klinger als Bildhauer, Maler und Grafiker tätig war, können die Kuratoren aus dem Vollen schöpfen. In Waiblingen, wo der Schwerpunkt seit jeher auf der Präsentation von Arbeiten auf Papier liegt, konzentriert man sich auf Radierungen und Federzeichnungen Klingers.

Vorläufer von Comics

Die teils realistischen, teils fantastischen Arbeiten könne man als Vorläufer von Comics und Graphic Novels sehen, sagt Anja Gerdemann. Zu ihrer Entstehungszeit im 19. Jahrhundert haben die Bilder oft für Wirbel gesorgt, die Betrachter mal erfreut, mal verstört oder auch verärgert. Kein Wunder, schließlich wechseln sich bittere Realität, fantastische Traumelemente und schwarzer Humor ab. Auch im 21. Jahrhundert lassen die Bilder wohl niemanden kalt, denkt Gerdemann: „Diese Radierzyklen faszinieren bis heute.“ Und sie spiegeln ihre Entstehungszeit, erzählen von sozialen Dramen, Notlagen und realen Ereignissen wie dem Prozess um eine verzweifelte Frau, die sich und ihren Sohn töten wollte, um einem gewalttätigen Ehemann zu entkommen.

Käthe Kollwitz hielt Klingers Grabrede

„Griffelkunst“ – mit diesem Wort hat Max Klinger einst Handzeichnungen und Druckgrafiken aller Art bezeichnet. Er selbst hat sich von anderen inspirieren lassen, auch das zeigt die Ausstellung. Von Albrecht Dürer, in dessen Arbeiten er „das Ideal der Griffelkunst perfekt umgesetzt sah“, so Stephanie Buck. Rembrandt sei für Klinger „wegweisend in der Behandlung des Lichts“ gewesen. Goya wiederum habe ihm sowohl als Vorbild im Umgang mit Techniken wie auch in puncto Inhalt gedient, berichtet Stephanie Buck. Beide zeigten drastische Gesellschaftskritik und Fantasie. Auch Klinger diente anderen als Inspiration, beispielsweise Käthe Kollwitz, die seine Grabrede hielt.

Im Jahr vor seinem Tod, 1919, hatte Max Klinger nach einem Schlaganfall die deutlich jüngere Gertrud Bock geheiratet. Dass er zuvor viele Jahre mit der Schriftstellerin Elsa Asenijeff liiert war, die in ihren Büchern und Gedichten die Gewalt in den Geschlechterbeziehungen und die sexuelle Unterdrückung der Frauen thematisierte, merkt man vielen Werken Klingers an. Sie beschäftigen sich oft mit der Emanzipation und dem Kampf der Geschlechter. Seine (männlichen) Zeitgenossen fanden das nicht immer positiv, berichtet Stephanie Buck. So habe ihm sein nun in Waiblingen ausgestellter Zyklus „Ein Leben“, der das Schicksal einer verlassenen jungen Frau schildert, viel Kritik eingebracht. Allerdings kaum von Frauen, sagt Buck: „Die sahen Klinger als einen Vertreter ihrer Interessen.“

Was man sonst noch wissen muss

Ausstellung:
„Liebe, Traum & Tod“ wird am Freitag, 31. Januar, 19 Uhr, mit einer Feier in der Kunstschule, Weingärtner Vorstadt 14, eröffnet. Die Ausstellung läuft bis 26. April und ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet sechs Euro, ermäßigt vier Euro.

Rahmenprogramm:
Am 18. Februar hält Barbara Dober von 15 Uhr an einen Vortrag mit vielen Bildern über Klingers druckgrafische Folgen. Der Eintritt ins Forum Mitte Waiblingen in der Blumenstraße 11 ist frei. „Max Klinger und das Traumbild im 19. Jahrhundert“ nimmt die Kunsthistorikerin Kerstin Thomas am 10. März ab 18 Uhr in der Galerie Stihl unter die Lupe. Am 17. April findet dort von 19 Uhr an ein Konzert des Sonderegger Duos statt. Die Brüder spielen Sonaten des von Max Klinger verehrten Komponisten Brahms. Die Karten kosten 18 und 15 Euro.

Kunstvermittlung:
Druckexperimente verschiedener Art, vom Styropordruck bis zur Kaltnadelradierung, bietet die Kunstschule Unteres Remstal an – für Kindergartengruppen und Klassen, aber auch Einzelpersonen. Einen ganzen Tag dauert der Workshop Aquatinta und Ätzradierung. Wer einen Blick hinter die Kulissen werfen möchte, kann eine Backstage-Führung buchen.