Fremdparker nachts von Privatparkplätzen abschleppen – das ist für Abschlepper zur einträglichen Einnahmequelle geworden. Nun gerät eine weitere Firma ins Zwielicht.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Als der 77-jährige Theaterhaus-Besucher gegen 22 Uhr zu seinem Wagen zurückkehren will, erlebt er eine Überraschung: Das Auto ist weg. Der VW stand auf dem abseits gelegenen Kundenparkplatz eines Getränkemarkts – ein vermeintlicher Geheimtipp. „Keine Kunden, denen man einen Platz wegnehmen würde“, sagt er. Und überhaupt habe der Markt gar keine Kunden mehr. Der ist, so steht’s auf einem Zettel am Eingang, seit dem 1. Juli 2018 geschlossen.

 

Der 77-Jährige ist nicht alleine. Eine 63-jährige Smart-Besitzerin aus Degerloch etwa, deren Freundin sie zu der Parkmöglichkeit nur wenige Meter vom Theaterhaus entfernt gelotst hatte. Oder ein 67-jähriger Unternehmer aus Bietigheim-Bissingen, der hier schon parkte, als es noch ein Möbelhaus gab und dessen Besitzer ihm einst erklärte: „Wenn mein Laden zu ist, kannst du bei mir parken.“

Ein Geheimtipp sind sie also, die Parkplätze hinter dem Gebäude Maybachstraße 32. Und offenbar eine Goldgrube. Eine Abschleppfirma aus Feuerbach nimmt die Fremdparker konsequent an den Haken, Tag und Nacht. Ein übliches Geschäftsmodell, das viele Abschlepper für sich entdeckt haben: Sie schließen Verträge mit Geschäften und Firmen, um deren Parkplätze freizuhalten. Doch während manche Supermärkte nur mit Bußgeldern drohen, langen die Abschlepp-Sheriffs richtig zu. An dieser Stelle kostet das stolze 232,05 Euro. Sonst gibt es kein Auto.

Manchmal gibt es auch Strafrabatt

Der Mann, der hier das Recht vertritt, ist freundlich. „Aber unnachgiebig“, sagt die 63-jährige Smart-Fahrerin. Wer sich beschwert, bekommt von dem Abschleppfahrer eine Moralpredigt zu hören. Man habe hier unrechtmäßig geparkt, sagt er dann, und der Sünder habe sich einfach das Recht genommen, hier zu parken. Ob der Getränkemarkt geschlossen sei oder nicht, das spiele keine Rolle. Er sei von dem Getränkemarkt, der immer noch Mieter sei, beauftragt, hier abzuschleppen. „Wir handeln nach unserem Vertrag“, sagt er.

Und unfreundlich ist er auch nicht: Weil der 77-jährige Theaterhaus-Besucher keinen Aufstand macht, wird ihm netterweise der Nachtzuschlag erlassen. Das sind 25 Euro netto weniger. Die anderen Sünder zahlen dagegen die 232,05 Euro. Die 63-Jährige aus Degerloch muss mit ihrer Freundin das Geld zusammenkratzen. Sonst gibt’s kein Auto. Die Geschäfte laufen gut. Als ein 67-Jähriger seine 232,05 Euro berappen muss, liegt die Rechnung schon bereit – in einem blauen Bürocontainer, der inzwischen auf dem Verwahrplatz an der Siemensstraße hinter einer Tankstelle aufgestellt worden ist. 120 Meter Luftlinie von den Parkplätzen entfernt. Der 77-Jährige hatte noch auf einer Motorhaube unterschreiben müssen. Zustimmung findet die Abschleppaktion auch bei den Betreibern des Seniorenzentrums, das in der Maybachstraße sein Domizil hat. „Das ist doch erkennbar ein Privatgrundstück, und es ist gegenüber unseren 120 Mitarbeitern und 140 Besuchern nicht fair, dort hinter dem Haus zu parken“, sagt der Leiter. Zumal das Haus selbst derzeit nur vier Stellplätze habe, auf die insbesondere die Nachtdienste angewiesen seien. Zwölf andere seien wegen der Baustelle in der Nachbarschaft weggefallen.

Handeln die Sheriffs tatsächlich im Auftrag?

Im Haus gibt es außerdem ein Sportgeschäft, das reservierte Parkplätze hinter dem Haus hat. Dort sieht man das anders: „Wir lassen nicht abschleppen“, sagt der Filialleiter. Da drohe nur unnötiger Streit mit womöglich versehentlich abgeschleppten Kunden. Daher toleriere man Fremdparker nach Ladenschluss. Das Seniorenheim hat sich dagegen per „mündlicher Vereinbarung“ der Regelung des Getränkemarkts angeschlossen. Dafür dürfe man eigene Fahrzeuge mit entsprechendem Schild hinter der Windschutzscheibe beim Getränkemarkt parken, ohne abgeschleppt zu werden.

Das alles ginge mit rechten Dingen zu – wenn die Abschleppfirma tatsächlich einen Vertrag mit dem Getränkemarkt hätte. Mehrere Anfragen und Gesprächsversuche mit der Geschäftsführung der Feuerbacher Abschleppfirma blieben über Tage unbeantwortet. Dagegen wird eine Sprecherin der SD Superdrinks GmbH, die Betreiber dieser Getränkemarktkette ist, auf Nachfrage deutlich: „Einen Vertrag für die als Privatparkplatz gekennzeichneten Flächen mit einem Abschleppunternehmen haben wir aktuell nicht, da die Gewerbeflächen ungenutzt sind.“ Nach der Schließung der Filiale im Sommer 2018 sei der Vertrag mit dem Abschlepper gekündigt worden, dieser sei nur noch bis Herbst 2018 beauftragt gewesen. Dabei gehe es um zehn Stellplätze, die „auch nicht untervermietet sind“.

Wurde also seit Herbst womöglich unrechtmäßig abgeschleppt? Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln seit einem Jahr gegen zwei Abschleppfirmen mit Sitz im Fasanenhof und Bad Cannstatt wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Erpressung. „Die Verfahren sind noch nicht abgeschlossen“, sagt Staatsanwaltssprecher Heiner Römhild. Nun könnte eine dritte Firma dazukommen. Die Betroffenen wollen entsprechend Strafanzeige erstatten.