Zehntausende Menschen kommen nach Deutschland, obwohl sie schon in einem anderen EU-Land als Flüchtling registriert wurden. Nur wenige Rückführungen klappen.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Wenn von der Abschiebung von Flüchtlingen die Rede ist, dann geht es meist darum, die Menschen in ihre Herkunftsländer zurück zu transferieren, nach Syrien, Afghanistan oder in die Türkei. Das kann im Einzelfall schwierig sein, weil die Länder die Aufnahme verweigern oder weil die Lebensbedingungen vor Ort so menschenfeindlich sind, dass in diese Länder nicht abgeschoben wird. Auch der mutmaßliche Attentäter von Solingen hätte abgeschoben werden sollen – allerdings zunächst nicht in sein Heimatland Syrien, sondern nach Bulgarien.

 

Über Bulgarien eingereist

Der Syrer kam im Dezember 2022 nach Deutschland und stellte hier einen Asylantrag. Die Einreise in die EU erfolgte jedoch über Bulgarien. Gemäß der so genannten Dublin- III-Verordnung sind die dortigen Behörden für sein Asylverfahren zuständig. Bulgarien hätte den Mann zurücknehmen müssen – und wäre nach bisherigem Kenntnisstand auch dazu bereit gewesen. Das ist allerdings nicht immer der Fall.

Das Dublin-System der EU ist seit vielen Jahren in der Kritik. Die Sekundärmigration aus anderen Mitgliedstaaten ist erheblich, Rücküberstellungen von Asylantragstellern sind auf dem Papier zwar vorgesehen, scheitern in der Praxis aber allzu oft. Nach Zahlen des Bundesamtes für Migration (BAMF) hat Deutschland im vergangenen Jahr für 74 622 Asylantragsteller ein Übernahme-Ersuchen an andere EU-Staaten gestellt. Tatsächlich vollzogen wurden gerade einmal 5 053 Überstellungen.

Drei Länder bilden den Schwerpunkt

Mehr als die Hälfte aller Übernahme-Ersuche richten sich an gerade einmal drei Länder: Kroatien (22,4 Prozent), Italien (20,7 Prozent) und Österreich (10,7 Prozent). Bulgarien liegt mit 10,4 Prozent knapp hinter Österreich auf Rang vier. Bei den Flüchtlingen, die in andere EU-Staaten überwiesen werden sollen, handelt es sich in erster Linie um Afghanen (22,8 Prozent), Syrer (20,9 Prozent) und Türken (11,5 Prozent). Von den 5053 Personen, die tatsächlich überstellt wurden, gingen die meisten nach Österreich, gefolgt von Frankreich und Spanien. Ein Jahr zuvor waren rund tausend Menschen weniger an andere EU-Länder übergeben worden.

Italien verweigert sich dem System

Die Gründe, warum die Zahl der tatsächlichen Überstellungen massiv geringer ist als die Zahl der Ersuchen sind vielfältig. So weigert sich Italien mit Verweis auf die Zustände auf seiner Mittelmeerinsel Lampedusa, Flüchtlinge nach der Dublin-Verordnung zurückzunehmen. Es gab mehr als 15 000 Ersuchen, überstellt wurden gerade einmal elf Personen. Nach Griechenland fanden in den letzten Jahren kaum Rückführungen statt.

Hintergrund war die herrschende Rechtsprechung der hiesigen Verwaltungsgerichte, wonach in Griechenland systemische Mängel bestünden und eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohe. Eine Überstellung der Betroffenen hätte somit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. In vielen anderen Fällen entscheiden Gerichte individuell, dass eine Überstellung derzeit nicht rechtens ist.