Der SC Freiburg ist bestens vorbereitet auf die größte Partie seiner Geschichte – das Duell mit Juventus Turin ist ein weiteres Sinnbild des steilen Aufstiegs, der auf emsiger Nachwuchsarbeit und Videoanalyse fußt.

Die Zeitabstände, in denen der SC Freiburg die jeweils größten Spiele seiner Clubgeschichte absolviert, sind kurz geworden. Im Mai 2022 gab es für Anhänger des Fußball-Bundesligisten erstmals ein Finale im DFB-Pokal zu erleben, im Herbst rauschte der Verein mit zum Teil mitreißenden Auftritten durch die Gruppenphase der Europa League. Und nun folgt an diesem Donnerstag (21 Uhr/RTL) das Achtelfinal-Hinspiel bei Juventus Turin mit Giganten wie Angel di Maria oder Paul Pogba . „Wer da alles gespielt hat in dem Verein, was für Größen, da freuen wir uns“, sagt SC-Trainer Christian Streich, „weil es eben kein Freundschaftsspiel ist und wir Juventus nicht zur Saisoneröffnung empfangen, sondern weil es ein europäischer Wettbewerb ist.“

 

Der SC Freiburg erklimmt immer neue Stufen seiner Entwicklung vom kleinen Provinzclub hin zu einem Verein, der auch wirtschaftlich so floriert, dass die Verantwortlichen nicht mehr fürchten müssen, durch drei, vier schwächere Jahre dauerhaft in den Tiefen der zweiten Liga zu verschwinden. Wobei das große Erfolgsgeheimnis der Freiburger nicht in den Büros der Geschäftsführer und Marketingleute liegt, sondern dort, wo es nach Schweiß und Rasen riecht.

Das Nachwuchsleistungszentrum als Erfolgsbasis

In Freiburg wird so überzeugend am Fußball gearbeitet wie in kaum einem anderen Bundesliga-Club, was sich nicht nur an Ergebnissen und Tabellen erkennen lässt. Das internationale Zentrum für Sportstudien (CIES) hat berechnet, dass während der ersten 15 Spieltage vor der Winterpause 30,4 Prozent der in der Bundesliga für den SC Freiburg absolvierten Spielminuten auf Spieler fielen, die zwischen ihrem 15. und 21. Lebensjahr mindestens drei Spielzeiten für diesen Verein aktiv waren. Im vergangenen Sommer wurde mit Nico Schlotterbeck ein Eigengewächs für 20 Millionen Euro nach Dortmund verkauft, im Winter folgte der Transfer von Kevin Schade zum FC Brentford, der 25 Millionen Euro einbrachte. Das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) ist ein in der Bundesliga einzigartiges Fundament, auf dem dieser Club wächst und wächst.

Teil dieser Freiburger Fußballschule ist beispielsweise die U 23, die auf dem zweiten Platz der dritten Liga steht und bei der sich viele angehende Profis in Ruhe und auf hohem Niveau an den professionellen Männerfußball herantasten können. Und die sportlich Verantwortlichen beim SC kommen ebenfalls mehrheitlich aus der Akademie: Streich wurde hier zu einem Erfolgstrainer, bevor er genau wie die immer noch an seiner Seite agierenden Assistenztrainer Patrick Baier und Lars Voßler zu den Profis in die Bundesliga aufrückte. 2013 folgte der heutige Sportvorstand Jochen Saier nach zehn Jahren als Leiter der Fußballschule, und auch der heutige Sportdirektor Klemens Hartenbach wechselte in jener Zeit von hier zu den Profis.

Die SC-Verantwortlichen um Jochen Saier sind ein verschworener Haufen

Die Verantwortlichen für NLZ und Profibetrieb seien ein „extrem heterogener Haufen, die aber einfach gut miteinander können“, sagt Saier, man kenne sich inzwischen „in- und auswendig“. Und sie haben dabei einen recht eigenwilligen Weg eingeschlagen. Streich ist ein kluger, empathischer, gebildeter, aber auch recht eigensinniger Typ, von dem kaum vorstellbar ist, dass er in einem anderen Umfeld ähnlich gut arbeiten könnte. Im NLZ wird kein Gehalt bezahlt, lediglich ein dreistelliges Taschengeld bekommen die Talente, die in der U-19-Bundesliga auf Gegner treffen, die mitunter fünfstellige Monatsgehälter überwiesen bekommen.

Anscheinend haben die Freiburger eine einzigartige Vorgehensweise mit den Spielern entwickelt. Das glaubt jedenfalls Amir Abrashi, der zwischen 2015 und 2021 für den SC gespielt hat. „Wie die dort mit Videos arbeiten, das habe ich meiner ganzen Karriere nirgends sonst gesehen, dass dir jeder Schritt und Tritt aufgezeigt wird“, sagt er. „Das ist ja das, was es ausmacht in Freiburg.“ Auch öffentlich wird nirgends sonst so oft und so selbstverständlich über diesen Teil des Alltages gesprochen. Es vergeht kaum eine Pressekonferenz ohne Streichs Hinweis, dass in diesem oder jenem Kontext „Video g’macht“ wurde.

Über die Videoarbeit baut Christian Streich auch Vertrauen auf

Als der Club noch im alten Stadion residierte, wurden die Spieler oft zu den Einzelsitzungen ins enge Trainerzimmer eingeladen, wo eine recht vertrauliche Atmosphäre entstehen konnte. Die Videoarbeit ist für Streich nämlich auch ein Weg, Nähe zu den Profis herzustellen. „Es geht immer darum, dass ein Spieler Situationen sieht im Video“, erläutert er. „Es ist ja nicht so, dass ich sage: So und so, sondern ich frage die Jungs: Wie siehst du das? Dann sprechen wir miteinander, diskutieren.“ Auch die Profis werden so zu Videoanalysten ausgebildet. „Wenn du die Szenen richtig analysierst, dann hast du mehr verstanden als davor“, sagt Streich, „und genauso geht es mir mit jedem Video auch noch, obwohl ich schon Zehntausende von Spielen analysiert habe.“ Ganz nebenbei kommt man gerade in Einzelsitzungen ins Gespräch, entwickelt Vertrauen – und lernt, wie man auch Gegnern wie den Stars von Juventus Turin Probleme bereiten kann.