Hollywoods große Studios entmachten in Pandemiezeiten die Kinos. Sie schwenken auf Streaming um und stellen knallharte Bedingungen, auf die Kinobetreiber früher nie eingegangen wären.

Stuttgart - Manager im Film- und Kinogeschäft lassen sich gerne bei Premieren mit Topstars fotografieren. Dann sehen sie aus, als hätte ihr Schönheitschirurg ihnen ein Allwetterlächeln ins Gesicht getackert. Mooky Greidinger, der Chef des zweitgrößten Kinounternehmens der Welt, Cineworld, schaut auf einem Foto im US-Branchenblatt „The Hollywood Reporter“ gerade ganz anders drein: wie der Mann auf dem Zebrastreifen, der in erster Verwirrung den bremsenlosen Kieslaster sieht.

 

Das Bild ziert einen Artikel, der das vermeldet, was in Corona-Zeiten noch als gute Nachricht gelten muss. Der Gigant Cineworld, der wegen der Pandemiefolgen fast alle seine Kinos schließen musste, konnte sich eine Kreditlinie von 450 Millionen Dollar sichern. Zuvor war in der Branche vom bevorstehenden Insolvenzantrag der Kette geunkt worden. Eine gerade noch einmal abgewendete Insolvenz als beste Nachricht seit Langem – diese realsatirische Einstufung zeigt, wie heftig das Kino unter der Pandemie leidet.

Auch Pixar geht am Kino vorbei

In den letzten Monaten hat sich in den USA eine radikale Änderung des Kräfteverhältnisses von Kinos und Studios ergeben. Zunächst schoben etwa Disney, Warner, Universal und Sony die Starts potenzieller Blockbuster wegen des Lockdowns in vielen Schlüsselmärkten immer wieder hinaus. Dann wurden die Streamingdienste ganz neu in Stellung gebracht. Disney verzichtete auf einen Kinostart von „Mulan“ und bot ihn gegen separate Zuzahlung direkt auf Disney+ an.

Dass dabei nicht so viel verdient wurde wie bei einem regulären Kinostart, gilt als unstrittig. Doch das ist nur die halbe Rechnung. Ein solcher Start macht eben auch Werbung für jenen neuen Direktkanal zum Kunden, der Disneys Strategen als künftig wichtigste Einnahmequelle gilt. Wie ernst Disney, der wichtigste Lieferant von Kinohits, Streaming nimmt, zeigte die nächste Hiobsbotschaft. Auch „Soul“, das neue Animationsabenteuer aus Disneys Trickstudio Pixar, kommt nicht ins Kino, sondern am 25. Dezember zu Disney+ – sogar ohne Zuzahlung.

Keine Exklusivität mehr

Nur die kurzsichtigsten Kinobetreiber halten das für eine bloße Corona-Notmaßnahme. Künftig werden die Studios ganz anders als bisher abwägen, welchen Film sie noch an die Kinos geben. Teil dieser Abwägung wird sein, wie weit die Kinobetreiber ihnen bei der Gewinnverteilung entgegenkommen.

Doch obendrein steht nun der letzte Garant der Kinos für kalkulierbare Umsätze, die Exklusivität eines Films, zur Disposition. Bislang kommt ein Neustart in den USA noch für ein Vierteljahr ins Kino. Das Studio Warner aber hat bekannt gegeben, dass der Superheldinnenfilm „Wonder Woman 1984“ am 25. Dezember zwar im Kino starten wird – zeitgleich aber beim Streamingdienst HBO Max.

Folgen für Deutschland

Diese Entscheidung von Warner ist noch drastischer als das, was das Studio Universal bislang zwei großen Kinoketten aufzwingen konnte: eine deutliche Verkürzung der Auswertungsfenster. Macht demnach ein Neustart am ersten Wochenende weniger als 50 Millionen Dollar Umsatz an den Kinokassen der USA, kann er bereits nach 17 Tagen zu einem Streamingdienst gehen. Macht er mehr als 50 Millionen Dollar Umsatz, bleibt er den Kinos auch nur 31 Tage exklusiv.

Eins zu eins lassen sich diese amerikanischen Verhältnisse nicht auf Deutschland übertragen. Aber im knallharten Verhandeln wird Hollywood demnächst eben sehr glaubhaft mit dem Komplettverzicht auf eine Kinoauswertung drohen können. Der nun in den USA begonnene Umbau der Kinowelt wird hierher durchschlagen. Noch wagt keiner zu prognostizieren, wie schnell das gehen wird. Aber noch wagt auch kaum jemand in der Branche sich auszumalen, wie radikal der Umbau in den USA voranschreiten wird.