Von Freitag an wählen die Russen an drei Tagen ihr Parlament. Die nächste Duma soll Putins neue Verfassung und Amtszeit sichern. Vor der Wahl wurden unabhängige Kandidaten, Wahlbeobachter und Medien ausgesiebt.

Korrespondenten: Inna Hartwich

Moskau - Plötzlich hatte Boris Wischnewski zwei Gegner. Mit gleichem Namen, gar gleichem Aussehen. Nicht nur der liberale Stadtparlamentarier aus Sankt Petersburg staunte, als er neben sich auf der Wahlliste noch zwei Doppelgänger samt Glatze und Bart entdeckte, Männer, die ihren Namen haben offiziell ändern lassen – aus einzigem Grund: zur Verwirrung von Menschen. Selbst Russlands regimetreue Wahlkommissionsleiterin Ella Pamfilowa mischte sich erbost ein. Das „Klonen“ von Kandidaten sei nun aber wirklich eine „Schweinerei“, schimpfte sie öffentlich. Die Double-Methode – mag sie auch aus den 1990er Jahren wiederbelebt worden sein – gehöre endgültig abgeschafft, forderte sie. Aber erst bei der nächsten Wahl.

 

Von Freitag an wählt Russland an drei Tagen sein Parlament, die Duma. In manchen Regionen wird zudem über die regionalen Parlamente abgestimmt, aber auch über Gouverneure. Um den Erhalt ihrer Macht kämpft die Regierungselite mit allen Mitteln, der „dreifache Wischnewski“ ist nur einer der schmutzigen Tricks, wie das System einerseits dafür zu sorgen versucht, die Wahlbeteiligung oppositionell gesinnter Wähler niedrig zu halten, andererseits aber die Konformisten in der Bevölkerung mit allerlei Geschenken oder auch Drohungen zur Wahl drängt.

Die Zustimmung für die Regierungspartei fällt

Noch kurz vor der Abstimmung hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine Einmalzahlung an die etwa 1,7 Millionen Staatsbediensteten angeordnet. Je 15 000 Rubel, das sind umgerechnet etwa 170 Euro, sollen sie bekommen. Zuvor hatte es bereits jeweils 10 000 Rubel (115 Euro) für Rentner und für jedes schulpflichtige Kind gegeben. Als „gezielte Bestechungsversuche“ bezeichnen manche Politologen den Geldsegen kurz vor der Wahl. In Zeiten von Inflation und steigenden Preisen greift dieser aber durchaus bei wichtigen Wählergruppen. Andere Angebote macht das System seit Jahren nicht.

Die Zustimmung für die Regierungspartei fällt, nach Angaben staatlicher Institute dürfte sie bei weniger als 30 Prozent liegen, die Kommunisten liegen laut Umfragen bei fast 20 Prozent und sind ein gefürchteter Gegner. Umfragen in einem autoritären System sind allerdings stets schwer zu durchschauen und auch zu interpretieren. Dass „Einiges Russland“ eine Mehrheit in der Duma bilden wird, bezweifeln nicht einmal die größten Regimekritiker im Land. Die wichtigste Frage dabei ist: Wie viel wird auf diese tragende Stütze des Systems entfallen?

Der Kreml lässt nicht mal einen Ansatz von ernst gemeinter oppositioneller Politik zu

Die Partei ist – im Gegensatz zu Putin selbst – unbeliebt, manche Kandidaten, auch wenn sie „Einiges Russland“ vertreten, geben vor, parteilos zu sein. Im Wahlkampf – ohne jeglichen Inhalt – fallen vor allem die Kandidaten von „Einiges Russland“ auf. Deren Konterfeis schmücken die Wahlplakate, deren Infostände stehen in den Fußgängerzonen. Kandidaten anderer Parteien mühen sich teils auf dunklen Spielplätzen ab, um gehört zu werden. Für aufwendige Wahlkampagnen fehlt vor allem unabhängigen Kandidaten das Geld. Der Kreml lässt ohnehin nicht einmal mehr einen Ansatz von ernst gemeinter oppositioneller Politik zu. Jeder, der nur den kleinsten Anhaltspunkt liefert, auch schon gedanklich nahe beim inhaftierten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny zu sein, wird von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen.

Der dreitägige Urnengang erschwert die Beobachtung der Wahl. Allerdings ist diese ohnehin schwer zu leisten, seit das Justizministerium ohne Angabe von Gründen die unabhängige russische Wahlbeobachtergruppe „Golos“ (Stimme) zum „ausländischen Agenten“ erklärt hat. Auch die OSZE schickt dieses Mal keine Beobachter, nachdem Russland die Bedingungen dafür ad absurdum geführt hat. Das Regime setzt auf Onlineabstimmung und die sogenannte „korporative Mobilisierung“: In Betrieben und staatlichen Organisationen werden die Mitarbeiter zum Teil verpflichtet, direkt in der Personalabteilung abzustimmen. Aus Sorge um ihren Arbeitsplatz wissen die Menschen, für wen sie unter solch einem Druck ihr Kreuz machen müssen: für die Regierungspartei. „Unterwürfigkeit, gepaart mit Gleichgültigkeit“, schreibt der russische Politologe Andrej Kolesnikow, bilde das Fundament der russischen Version des Autoritarismus.

Bei den Menschen macht sich eine bleierne Müdigkeit breit

Die Wahl ist nur das Vorgaukeln einer Auswahl aus unterschiedlichen Parteien, die lediglich zum Schein miteinander konkurrieren. Sie alle bekommen quasi eine Kreml-„Lizenz“ und sind Putin und seiner Administration gegenüber loyal. Vermeintliche Opposition dient der Dekoration politischen Wettbewerbs. In der Duma geht es nicht um die politische Repräsentation von breiten Bevölkerungsschichten, sondern um ausgewählte – „filtrierte“, sagen die Russen – Elitegruppen und Klans. Mutlose, verängstigte, apathische Wähler passen der Machtelite, die weit im Vorfeld der Wahl bereits einiges dafür getan hat, um kritische Geister zu gängeln, sie vor Gericht zu zerren, in die Emigration zu treiben und die Medien an die kurze Leine zu nehmen. Durch die zermürbende Serie an Repressionen sollte sich bei den Menschen der Eindruck verfestigen, dass es sich nicht besonders lohne, sich für diese Wahl zu interessieren. Das funktioniert. Quer durchs Land macht sich eine zähe Müdigkeit breit. „Es ist alles schon entschieden“, sagen die Russen. Kandidieren, zumal mit Forderungen nach echter Konkurrenz, ist zu einem tollkühnen Plan verkommen. So ist auch diese Wahl ohne jegliche Auswahl, sondern ein weiteres Plebiszit über das Vertrauen zu Putin.