Während in der Gastronomie alles teurer wird, bietet Volksfestwirtin Sonja Merz in ihrer früheren Avocado-Show alle Hauptgerichte zum Billigpreis an. Rechnet sich das? Und was sagt der Branchenverband Dehoga zu Dumping-Preisen?

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Drinnen haben die Wände das künstliche Dschungelgrün behalten, das als wesentliches Dekorationselement der Avocado-Show aufgehängt worden war. Die Franchise-Kette aus Amsterdam, die in Stuttgart für ihre bunt gestylten Speisen vor knapp zweieinhalb Jahren Volksfestwirtin Sonja Merz und ihre Tochter Katharina Renz gewinnen konnte, ist mittlerweile insolvent.

 

Vom Konzept mit der Trendfrucht waren Mutter und Tochter so überzeugt, dass sie einen Mietvertrag an der Calwer Straße bis ins Jahr 2030 abgeschlossen hatten. Das verhindert nun die Pläne, nach dem Aus aus Holland, die Räumlichkeiten schnell aufzugeben. Deshalb musste ein neues Konzept her, bis ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gefunden ist.

Das neue Konzept lautet: Hauptsache günstig. Alle Hauptgerichte kosten nur 8,50 Euro, egal ob mittags oder abends. Jede Flasche Wein gibt es für 20 Euro. Seit wenigen Tagen also kann man in der früheren Avocado-Show etwa einen Burger mit Pommes für 8,50 Euro (andernorts zahlt man dafür bereits über 20 Euro) bestellen – auch der Wurstsalat mit Bratkartoffeln kostet so viel (oder müsste man „so wenig“ sagen?“), ebenso das Waldpilzragout und die Kässpätzle für Vegetarier.

Rechnet sich das? „Bei hohem Gästeaufkommen schon“, sagt Sonja Merz. Zu dem Lokal, das jetzt nur noch nach der Chefin benannt ist, gehören 45 Stühle draußen an der Calwer Straße sowie etwa eben so viele an der gewölbten Hausfront entlang. Insgesamt sind es 140 Plätze. Ihre Billigangebote sorgen in der Stuttgarter Gastroszene für Diskussionen. Viele Wirte klagen über steigende Kosten, weshalb sie nicht die Preise für Hauptgerichte senken könnten. „Bei Linsen, Spätzle und Saitenwürstchen zahlt sie, sofern die Qualität gut ist, bei 8,50 Euro drauf“, sagt ein Gastronom, der dafür das Doppelte verlangt.

Ein anderer sagt: „Wer nach den Billigpreisen wieder mehr verlangen will, hat ein Problem, weil die Gäste anderes gewohnt sind.“ In aller Regel müsse man in der Kalkulation die Herstellungskosten mit vier multiplizieren, um den Preis für die Karte zu ermitteln – nur dann könne man alle Kosten ausgleichen.

„Auch für das Personal ist es wichtig, dass wir weitermachen“

Sonja Merz spricht von einer „Mischkalkulation“. Die Linsen etwa würden in ihrem Biergarten gekocht, wären unterm Strich in der Herstellung etwas teurer als etwa der Salat mit Maultaschen – aber weil alle Gerichte gleich kosten, verdiene sie bei den einen mehr, bei den anderen weniger. Kostendeckend arbeite sie bei 250 verkauften Gerichten pro Tag. Am ersten Wochenende habe sie bereits pro Tag 150 bis 180 Essen serviert. Auch für ihr Personal sei es wichtig gewesen, weiterzumachen nach der Insolvenz der holländischen Lizenzgeber.

Von „Dumping-Preisen“ will sie nicht reden. „Wir wollen den Familien etwas bieten, die sich in der heutigen Zeit mit steigenden Kosten nur selten einen Restaurantbesuch leisten können“, sagt Sonja Merz. Sie will den Beweis erbringen, dass es für Gäste auch billiger geht – und die Wirte trotzdem zufrieden sein könnten. Dennoch macht sie auch keinen Hehl daraus, dass sie das Lokal an der Calwer Straße bald loswerden will, da sie mit Weindorf, Biergarten und Volksfest sehr viel zu tun habe.

Laut Dehoga sind die Preise für Hauptgerichte um 4,9 Prozent gestiegen

Seit der Rückeinführung des alten Mehrwertsteuersatzes im Januar sind die Preise fast überall gestiegen. Laut dem Branchenverband Dehoga bei Hauptgerichten um durchschnittlich 4,9 Prozent. Auf Anfrage unserer Redaktion erklärt Aurélie Bergen, Pressesprecherin des Dehoga-Bundesverbandes: „Die Preiskalkulation ist ein hohes unternehmerisches Gut und abhängig von vielfältigen Faktoren wie Standort, Mitbewerbersituation, Kostenstruktur, Nachfrage und vieles mehr.“ Für die „Speisen geprägte Gastronomie“ rechnet sie vor: „Wareneinsatz und Personalkosten machen zusammen 60 bis 70 Prozent des Nettoumsatzes aus, die Energiekosten belaufen sich auf vier bis sechs Prozent, liegen aber heute deutlich höher. Dazu kommen die Pachtkosten mit acht bis 15 Prozent sowie Kosten für Instandhaltung, Wartungen und Reparaturen, allgemeine Betriebs- und Verwaltungskosten etc.“

„Wer sich dauerhaft etablieren will, muss richtig wirtschaften“

Jeder Unternehmer und jede Unternehmerin müsse für sich „sauber kalkulieren“, um wirtschaftlich arbeiten und zugleich wettbewerbsfähig bleiben zu können, betont Pressesprecherin Bergen. Kurzfristige Marketing-Aktionen zu Dumping-Preisen seien möglich, sagt sie, doch wer sich dauerhaft am Markt etablieren möchte, müsse „richtig wirtschaften“.

Während das Essen bei Sonja Merz deutlich billiger ist als in anderen Stuttgarter Restaurants, sind die Preise für Drinks auf dem gewohnten Niveau: Der Gin Tonic etwas kostet 11,50 Euro, der Moijto 12,50 Euro. So kann die Wirtin also mit Cocktails verdienen.