Wie schmeckt ein Menü, wenn man es nicht sieht? Im Wasserturm in Kornwestheim (Landkreis Ludwigsburg) können Gäste Gastronomie nicht nur schmecken, sondern auch mit den Händen erleben.
Ein paar grüne Kräuter für den Look, etwas Parmesan, damit es schöner aussieht, und dann alles hübsch angerichtet – schließlich isst das Auge mit. Doch im Wasserturm in Kornwestheim spielt das im ersten Moment keine allzu große Rolle. Denn hier bekommen die Augen eine Pause, wie Ralf Burgio sagt. Wer hier isst, sieht nichts. Beim „Dinner in the Dark“ genießen die Gäste ihr Menü in absoluter Dunkelheit. Statt Sehen kommen andere Sinne zum Einsatz. Auch Anfassen ist erlaubt. „Da kommen auch mal die Hände ins Spiel“, erzählt der Betreiber des Dunkel-Dinners.
Die Kellner orientieren sich mit Nachtsichtgeräten
Das Drei-Gänge-Menü bleibt geheim – Vorspeise, Hauptgericht und Dessert werden nicht angekündigt. Alle zwei Wochen stellt Burgio ein neues Menü zusammen. Während er sich bei der Hauptspeise an klassischer Landhausküche orientiert, wird er bei Vorspeise und Dessert gerne kreativ. „Es soll schließlich allen schmecken – aber auch überraschen“, sagt er. Die Gäste können während des Essens rätseln, was sich auf dem Teller befindet. Aufgelöst wird erst ganz am Schluss, wenn der Gastronom die Gerichte präsentiert.
Mit ungewöhnlichen Formen und Konsistenzen führt er seine Gäste gerne auch mal „hinters Licht“. So serviert er etwa Spätzle als Espuma – also als Schaum. Der Geschmack bleibt, doch viele Gäste glauben, sie würden Sahne essen. „Erstaunlich, wie sehr wir uns auf Vertrautes verlassen“, meint Burgio.
Im Wasserturm finden bis zu 40 Gäste Platz. Interessierte müssen schnell sein, denn das Event ist oft für mehrere Wochen im Voraus ausgebucht. Drei- bis viermal pro Woche wird das Dunkel-Dinner angeboten.
Zu Beginn treffen sich die Gäste bei einem Drink im Vorraum des Turms und lernen sich kennen. Anschließend bittet Ralf Burgio sie, ihre Plätze im Speisesaal einzunehmen. Noch brennt das Licht – doch nach und nach wird es gedimmt, bis schließlich nur noch eine Kerze leuchtet.
„Die puste ich dann aus. Dann herrscht absolute Finsternis“, erklärt Burgio. Damit die Kellnerinnen und Kellner nicht im Dunkeln tappen, tragen sie Nachtsichtgeräte – die Gäste hingegen sind auf ihre übrigen Sinne angewiesen.
Der Wasserturm wurde vom Biergarten zur Event-Location
Ralf Burgio hat den Wasserturm 1996 gekauft. Sein Handwerk lernte er im Stuttgarter Parkhotel, später arbeitete er in verschiedenen Hotels der Region. „Ich habe nach etwas gesucht, das ich nebenher betreiben kann – und bin dann auf den Turm gestoßen.“ Der historische Turm wurde 1914 erbaut und versorgte die Dampflokomotiven am Rangierbahnhof in Kornwestheim mit Wasser. Burgio baute das Außengelände um den Turm herum zu einem Biergarten aus. Später entstand hier ein Club. Mehrere Jahre lang wurden hier Partys gefeiert, bis Burgio neue Pläne schmiedete. 2008 eröffnete er schließlich die Eventlocation mit Dunkel-Dinner-Angeboten.
Was Burgio an den Dunkel-Dinnern besonders schätzt: „Die Menschen kommen miteinander ins Gespräch.“ Es sei interessant zu beobachten, wie die Gäste anfangen, miteinander zu interagieren, wenn sie sich nur noch durch Hören, Fühlen und Riechen orientieren können. Denn hier soll es nicht nur um das Essen gehen – das gesamte Erlebnis stehe im Mittelpunkt.
„Gastronomie soll sich nicht nur auf das Essen beschränken“
Diese Idee möchte Burgio künftig weiter ausbauen. „Ich will nicht, dass sich Gastronomie nur auf das Essen reduziert.“ In der Regel sitzen Menschen im Restaurant, bestellen, konsumieren, bezahlen und gehen. Das möchte Burgio aufbrechen. Aktuell arbeitet er an einem Konzept, bei dem sich die Gäste bewegen, miteinander sprechen und austauschen sollen – um Gastronomie dabei völlig neu zu erleben.