Durchdachtes Design Ergonomische Sitzmöbel gibt es auch als Blickfänger
Denkt man an ergonomische Möbel, denkt man an einen gesunden Rücken – aber auch an eine Zumutung für den Sinn für Ästhetik. Dem muss aber keinesfalls so sein.
Denkt man an ergonomische Möbel, denkt man an einen gesunden Rücken – aber auch an eine Zumutung für den Sinn für Ästhetik. Dem muss aber keinesfalls so sein.
Er war all überall. Der Gymnastikball, der vor dem Schreibtisch darauf wartete, dass ein Mensch sich auf ihm niederließ. Gefühlt war dieser Ball meist petrolfarben oder mintgrün, letztlich gab es ihn aber in allen Farben. Er war aus Plastik, höher als kniehoch, immer auffällig, nie schön.
Aber freilich durchaus nützlich. Denn der Ball sorgte beim Sitzen und Arbeiten für Bewegungsausgleich. Durch das dynamische Sitzen bleibt der Mensch konstant in Bewegung, wobei der Ball ganz nebenbei für eine gestärkte Rückenmuskulatur sorgt. Schließlich bewegt sich der Büromensch generell zu wenig, sitzt zudem meist verkehrt und bekommt oft Verspannungen, Konzentrationsprobleme, Kopfschmerzen und Probleme mit dem Rücken.
Der Tübinger Orthopäde Uwe Heldmaier betont, wie wichtig es deshalb ist, dass „der Bürostuhl dem Körper Stützkraft bietet, da desto mehr die Muskulatur, die Bandscheiben und Gelenke entlastet würden“.
Den berühmten Gymnastikball, der etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint, gibt es jetzt auch in der Luxus- oder Chefvariante. Der Sitzball von Stryve ist aus Lederimitat, es gibt ihn aber auch in Wollfilz und in Leinenoptik. Er wurde mit dem Industrie Forum Design Award ausgezeichnet. Die im Inneren liegende Gewichtsverstärkung schafft außerdem einen stabilen Schwerpunkt, sodass sich der Design-Sitzball selbstständig auspendelt. Dadurch kann der Büro Sitzball nicht wegrollen und die Sitzfläche bleibt schmutz- und staubfrei.
Aber freilich muss nicht alles rund sein, was hilft. Es kann auch einfach sein, schön – und schräg. Wie der Freiburger Hocker. Dass es ihn gibt, verdankt die Welt Johannes Wittich – und dem Zufall. Bevor er 1992 mit der Meisterschule begann, wurde er Vater. Zusammen mit seiner Frau zog er in ein kleines Haus, das es zu sanieren galt. „Ich habe sehr viel daran gearbeitet und bekam einen Bandscheibenvorfall“, sagt Wittich.
Den Unterricht in der Meisterschule verfolgte er dann größtenteils im Stehen. Als frisch gebackener Meister suchte er sich aus dieser persönlichen Betroffenheit heraus zunächst einen Betrieb, wo sich alles um ergonomisches Wohnen, Schlafen, Küchen und Büromöbel drehte.
Seit 1998 entwirft, plant und baut Johannes Wittich in seiner eigenen Schreinerei in Freiburg Massivholzmöbel – immer auch mit Anspruch an körpergerechte Ergonomie. Die Idee des Freiburger Hockers entstand im Team mit den Gesellen Volker Schlag und Kristina Schneider während einer Radtour. „Eigentlich ging es nicht um Ergonomie, sondern um eine zeichnerische Frage“, erinnert sich Wittich. „Ich fragte, wie man es zeichnerisch darstellen könne, wenn ein Stuhl ein verkürztes Bein hat – also was dann etwa der Schatten oder die Sitzfläche macht.“
Die Vorstellung brachte Wittich spontan den Gedanken ein, dass er sich auf solch einen Stuhl diagonal hinsetzen würde. Und das fühlte sich schon im Kopf gut an. Spontan wurde beschlossen umzukehren: Sie fuhren zur Werkstatt, schraubten einen Prototyp aus Dachlatten zusammen, setzten sich drauf – und waren begeistert.
Der damalige Lehrling baute dann vier Wochen lang täglich eine Hocker-Variante, die jeweils abends mit den Kollegen besprochen wurde. „Eigentlich war es der Hocker, der mir ganz viel gezeigt hat“, sagt Wittich.
Das Besondere am Freiburger Hocker ist, dass er drei verschiedene Positionen erlaubt: Dadurch, dass das vordere Hockerbein um zwei Zentimeter verkürzt ist, wird der Hocker selbst dynamisch. Dies erlaubt geräuschloses Kippeln, die Bandscheiben sind versorgt, die Muskeln geschmeidig.
Das Sitzen findet balancierend nur auf den beiden äußeren Hockerbeinen statt, die beiden vorn und hinten begrenzen die Pendelbewegung. Die Schräge der Sitzfläche sorgt gleichzeitig für aufrechtes Sitzen: Die Beckenrotation wird unterstützt, die Wirbelkörper sitzen entlastet übereinander.
Will man schräg sitzen, aber ohne zu kippeln, befestigt man den Magnetklotz, der bei Nichtgebrauch am Boden der Sitzfläche verstaut werden kann, an dem hinteren Bein, das ansonsten in der Luft hängt. Will man indes gerade und stabil sitzen, befestigt man den Magnetklotz am kurzen Bein – und hat einen „normalen“ Hocker, der auch als Nachttischchen, Sofabeistand oder Tablett neben der Badewanne dienen kann.
Der Käufer hat die Auswahl zwischen 18 verschiedenen Holzarten und unzähligen Holzmaserungen, zudem gibt es dazu passende Kissen aus Schafschurrwolle aus dem Allgäu in allen Farben. Der Hocker wird aus Restholz gefertigt, das von größeren Möbelproduktionen abfällt. „Ich trenne ein dickes Holzstück Hochkant auf und klappe es auf wie ein Buch“, sagt Wittich, „dadurch entsteht die gespiegelte Maserung.“ Zwischen 600 und 800 Hocker für 345 Euro das Stück hat er seit 2013 verkauft, ganz genau weiß er es gar nicht. Es sollen aber auf jeden Fall mehr werden.
Aber wird ein Hocker auf Dauer nicht doch unbequem? „Wissen Sie, wie ich gerade dasitze?“, fragt Wittich. „Ich sitze auf einem Bürostuhl mit Lehne und Armlehnen, habe die Füße auf dem Tisch – das braucht man auch, einfach mal herumzulungern.“ Es stünden aber eben auch zwei Freiburger Stühle an seinem Tisch, die er regelmäßig nutzt: „Bis zu vier Stunden gehen gut.“
Ähnlichkeiten mit dem Gymnastikball – allerdings eher funktionelle – hat der Sitzhocker Uebobo von ITO Design. Dieser fällt laut „Red Dot Design Award“, ein jährlich ausgeschriebener Designwettbewerb, mit einer eindrucksvollen Formensprache auf und bietet ein innovatives Konzept des aktiv-dynamischen Sitzens.
Seine Ergonomie bedingt, dass der Sitzende mit ihm wie auf einem Gymnastikball stetig in Bewegung ist. Diese Beweglichkeit schlüssig mit der Drehbewegung und Höheneinstellung eines modernen Bürostuhls vereinend, entstand mit Uebobo eine Konstruktion von hoher Flexibilität, die insbesondere den Rücken langfristig gesund erhält.
Der Orthopäde Heldmaier findet es extrem wichtig, dass „sich nicht der Körper dem Sitzmöbel anpasst, sondern das Möbel dem Körper“. Diese Bedingung erfüllt der Office and Low Chair D1 von Wagner, gestaltet von Diez Office. Auch er wurde zudem mit dem Red Dot Design Award ausgezeichnet. Bei seiner Gestaltung wurde ein Sitzverhalten angestrebt, bei dem Form, Funktion und Ergonomie zusammenwirken.
Sitz- und Rückenfläche passen sich bei diesem Stuhl flexibel wechselnden Körperhaltungen an und fordern durch ihre Funktionalität dazu auf, dynamisch zu sitzen. Das Kernstück des Entwurfs ist ein Mechanismus, der sich in einem sichtbaren Gelenk unter der Sitzfläche des Stuhls befindet. Dieser ermöglicht separate Kippbewegungen von Sitzfläche und Rückenlehne um vier Achsen. Sitz und Rückenlehne kippen je nach Gewichtsverlagerung einzeln nach vorne oder hinten, und schwenken gleichzeitig auch auf beide Seiten.