Die kleine Firma Grace aus Brandenburg baut künftig E-Bikes für den Daimler-Konzern. Im August wird das erste Smart-Bike präsentiert.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Die alte Wehrmühle in Biesenthal liegt direkt am Radweg von Berlin nach Usedom. Ein Naturidyll, mitten im Grünen, mit schöner Aussicht in das angrenzende Bachtal, auf Wiesen und Wälder. Für Michael Hecken der richtige Ort, einen Neustart zu wagen. Schon mit 22 Jahren gründete der Rheinländer seine erste Internetfirma in London, die zeitweise 65 Leute beschäftigte. Große Kunden wie T-Mobile zählten zu den Stammkunden für Websites und Online-Programme. Dann kam die Dotcom-Krise. Auch Heckens Firma musste kräftig schrumpfen, als die erste Internetblase platzte. Hecken gab den Chefposten ab.

 

Nordöstlich von Berlin hat der Betriebswirt eine neue Heimat gefunden. Er erwarb die verfallene alte Mühle mit einigem Land am Naturschutzgebiet, baute sich darin ein schickes Loft - und arbeitete an seiner zweiten Karriere. Zunächst verkaufte der Neu-Brandenburger einige Zeit Biomasse-Heizkraftwerke. "Dann kam mir auf einer Radtour von Bernau hierher die Idee, ein perfektes Bike zu bauen, sportlich, mit tollem Design und schnellem Elektroantrieb", erinnert sich der Naturliebhaber. Die Idee war geboren. Mitdem bekannten Fahrradkonstrukteur Karl-Heinz Nicolai aus Lübbrechtshausen bei Hannover fand sich bald ein engagierter Mitstreiter. "Das war natürlich ein Glücksfall", sagt Hecken. Beide gründeten nach einigem Vorlauf die Firma Grace, die nun gerade mal ein Jahr alt ist, doch schon einen guten Anfangserfolg vorweisen kann. Bereits tausend Elektroräder wurden bisher verkauft, zu Preisen von rund 4000 Euro aufwärts.

Grace besetzte die Marktlücke bewusst

Die Räder werden von einer großen deutschen Radfabrik montiert, ein kleines Kernteam arbeitet in Berlin-Mitte. Das erste Modell, eine Kleinserie mit handgefrästem Aluminiumrahmen, kostete sogar 8000 Euro pro Stück. "Das sind schon heute Sammlerobjekte, die vielleicht einmal viel Geld beim Wiederkauf bringen", meint Hecken und schmunzelt. "Verkaufen konnte ich schon immer gut", sagt der 35-Jährige. Sein Loft vermietet er gerne mal für Hochzeiten und Veranstaltungen. Prospekte, Fotos und Videos produziert das kleine Unternehmen selbst.

Die in Berlin und dem Umland gedrehten Werbespots mit dem bis zu Tempo 45 schnellen Grace E-Motorbike hatten vor allem auf der Internet-Plattform viele Klicks und weltweite Aufmerksamkeit zur Folge - auch bei großen Konzernen. Ganz bewusst besetzte Grace zunächst ein Marktlücke. "Man muss provozieren, um aufzufallen, das ist ganz klar", sagt Hecken. Die Testfahrer flitzen im Werbefilm ohne Helm durch die Stadt und über Radwege rund um Biesenthal - obwohl beides verboten ist. Denn für ein Zweiräder mit Antrieb und mehr als 25 km/h sind Helm, Versicherung, Kennzeichen und Führerschein Pflicht. Und auf Radwegen haben solche Fahrzeuge eigentlich nichts verloren.

Im September folgt das erste Smart-Bike

Das nächste Modell, das im September auf den Markt kommen soll, wird nun ein klassisches Elektrofahrrad sein, dessen Antrieb bei Tempo 25 abgeschaltet wird. Auf der Branchenmesse Eurobike in Friedrichshafen aber wird am 31. August wohl ein anderes Fahrrad im Mittelpunkt stehen, das ebenfalls aus dem Hause Grace kommt: das erste Smart-E-Bike.

Vor einem Jahr hatte der Daimler-Konzern mit den Brandenburgern Kontakt aufgenommen. Und dann musste alles ganz schnell gehen. "In nur 70 Tagen haben wir mit den Smart-Designern den ersten Prototyp konzipiert und dann vorigen Oktober auf dem Pariser Autosalon vorgestellt", erzählt Hecken mit sichtlichem Stolz.

Die Flitzer sollen künftig in deutschalnd montiert werden

Derzeit stehen einige Elektroräder bei dem Stuttgarter Konzern auf dem Prüfstand und werden rundum getestet. Montiert werden sollen die Flitzer auch künftig in Deutschland. Sehr viel mehr darf er über die Liefer- und Kooperationsverträge mit Daimler nicht erzählen - und auch dort gibt man sich auf Anfrage noch recht einsilbig. Weder Stückzahlen noch Preise will man verraten. Nur den Verkaufsstart 2012 und die Vorstellung des ersten "seriennahen Modells" auf der Eurobike will ein Sprecher in Stuttgart bestätigen.

Denn die Konkurrenz schläft nicht. Bei der Mobilität der Zukunft gilt das Elektrofahrrad als fester Bestandteil, die Verkaufszahlen steigen schon jetzt rasant an, viele Anbieter arbeiten an Verkaufsstrategien. Anders als beim Auto ist die Batteriefrage halbwegs gelöst. Selbst beim bis zu 45 km/h schnellen und 32 Kilo schweren Grace-Flitzer reicht der große, im Rahmen verbaute Lithium-Ionen-Akkupack immerhin bis zu 60 Kilometer weit, wenn man den Antrieb sparsam einsetzt.

Grace-Chef Hecken erwartet für Elektroräder eine goldene Zukunft

Bei extremer Belastung, wie einer Bergfahrt oder ständigem scharfen Gegenwind, ist die Batterie indes schon nach 23 Kilometern leer - dann aber kann man immer noch mit den Pedalen weiterradeln. Beim Elektroauto geht das nicht.

Grace-Chef Hecken erwartet für Elektroräder eine goldene Zukunft. "Das wird ein riesiger Markt, das steht fest", sagt er. Denn die Megatrends - Klimaschutz, Ressourcenknappheit, Nachhaltigkeit - sprechen für den umweltfreundlichen Fahrradverkehr, besonders in den Städten.

Der Smart mit zwei Rädern kommt 2012 auf den Markt

Mobilitätskonzept: Erst war es nur eine Studie mit einem Prototyp – doch unlängst hat Smart-Chefin Annette Winkler bestätigt, dass das E-Bike gebaut wird und 2012 auf den Markt kommt. Das Rad soll Teil der neuen Mobilitätskonzepte des Autokonzerns sein. Versprochen werden einfache Handhabung, schickes Design und viel nützliche Technik.

Mobiltelefon: Was von der Studie umgesetzt wird, ist noch unklar. Wie beim Smart-Kleinwagen wird vermutlich auch beim Fahrrad ein intelligentes Mobiltelefon integriert werden können, das navigiert, die Geschwindigkeit und den Batterieverbrauch anzeigt. Ein 250 Watt starker Hybridantrieb, der Muskelkraft und Elektromotor kombiniert, sorgt beim 22 Kilo schweren Prototyp zudem mit vier einstellbaren Leistungsstufen für flotte Fahrt, sobald man in die Pedale tritt.

Führerscheinfrei: Sicher ist: für das bis zu 25 km/h schnelle Elektrorad braucht man weder Führerschein noch Zulassung. Es erzeugt keine Abgase und ist absolut umweltfreundlich, wenn es mit Strom aus regenerativen Quellen aufgeladen wird. Zum Laden der Batterie genügt eine normale Steckdose, beim Prototyp dauert ein Ladevorgang zwei bis drei Stunden.