Die Verkaufszahlen der Anbieter vom Lebensmitteln im Netz boomen in der Corona-Krise. Doch die Wartezeiten sind oft lang, weil die Kapazitäten in Deutschland sehr begrenzt sind. Für die Lieferung von frischen Waren ist der Kanal ungeeignet.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Der Gedanke klingt plausibel: Weil viele Menschen zurzeit den Gang in die Läden scheuen, könnte der von den Deutschen bisher stiefmütterlich behandelte Online-Einkauf von Lebensmitteln aus seiner Nische kommen. Wer sich allerdings bei den wenigen Anbietern umschaut, die das wie der Lebensmittelhändler Rewe an vielen Standorten anbieten, wird schnell desillusioniert. Wer in dieser Woche dort eine Bestellung zu einer Lieferadresse in der Region Stuttgart angeben wollte, stößt für die kommenden Tage ausschließlich auf die Angabe „ausgebucht“. „Die hohe Nachfrage kann aktuell Wartezeiten von ein bis zwei Wochen mit sich bringen – die Wartezeiten sind abhängig vom jeweiligen Liefergebiet und nicht der Regelfall“, sagt eine Rewe-Sprecherin.

 

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Die Nachfrage ist stark gestiegen, das bestätigen auch andere Anbieter – doch mit deutschlandweiten Zahlen muss die Sprecherin des deutschen E-Commerce-Verbands BEVH passen. Anbieter wie der Essensbox-Lieferant halten sich generell bedeckt. Die Firmen, die Zahlen herausrücken, wie der niederländische Dienst Picnic, der allerdings in Deutschland nur in Nordrhein-Westfalen aktiv ist, sprechen von einem Zuwachs der Bestellungen um die Hälfte. Der Lieferdienst Getnow spricht sogar von einer Verdoppelung. Allerdings müssen diese Zahlen nach Schätzung der Beratungsgesellschaft BCG im Kontext von zurzeit zweistellig wachsenden Verkäufen bei den Supermärkten in Deutschland generell gesehen werden.

Ein Ludwigsburger Bioladen hat seine Auslieferungen verfünffacht

Auch Nischenanbieter profitieren. Beim Bioladen Rapunzel in Ludwigsburg spricht die Inhaberin Sabine Deutscher von einer Verfünffachung der Online-Bestellungen, die es dort seit fünf Jahren gibt. Bisher kann man in der Regel noch binnen zwei bis drei Tagen über reguläre Paketdienste wie DHL und DPD liefern. „Aber das hängt auch davon ab, wie Sie in der Warteschlange stehen“, sagt Deutscher. Und die beginne, wenn neue Ware geliefert sei. In einzelnen Fällen werde die Wartezeit bereits länger. Eine Beruhigung des Ansturms sieht sie noch nicht ansatzweise. Man werde so schnell wie möglich eine Mengenbegrenzung gegen Hamsterkäufe online programmieren.

Wie es in Deutschland insgesamt aussieht, ist unklar. „Wie sich das genau auswirkt, werden Sie frühestens an den Quartalszahlen ablesen können – und die kommen erst im April“, sagt die Sprecherin des E-Commerce-Verbands BEVH. Sicher ist: Von einer Ersatzfunktion für reguläre Läden kann nicht ansatzweise die Rede sein. Im vergangenen Jahr wurde in Deutschland nur ein Prozent der Umsätze im deutschen Lebensmitteleinzelhandel online erzielt. Zum Vergleich: Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft Nielsen lagen diese Anteile im Jahr 2018 in Ländern wie Südkorea (zehn Prozent) oder Großbritannien und Frankreich (je sechs Prozent) mehrfach höher.

Die Nische ist zu klein, um wirklich einen Unterschied zu machen

Selbst eine Verdopplung dieser Nische würde für die gesamte Versorgung keinerlei Unterschied machen. Der Engpass ist nicht die Lagerlogistik. Aber das Training und die Einweisung der Fahrer sind aufwendig und kostenintensiv. Die Unternehmen können für den kurzfristigen Nachfragegipfel gar nicht schnell aufstocken. Die BEVH-Sprecherin erwartet dennoch einen mittelfristigen Schub. In der Corona-Krise kämen viele Neukunden mit diesem Einkaufsweg in Berührung – und könnten ihm danach treu bleiben.

Doch bisher betrifft das vor allem haltbare Produkte. Die Rewe-Sprecherin nennt „lang haltbare Lebensmittel, Nährmittel, Konserven und Drogerieartikel.“ Doch genau dort, wo Online-Lieferungen die größte Entlastung für Menschen wären, die sich nicht dem Infektionsrisiko aussetzen wollen, beim täglichen, frischen Einkauf müssen Online-Lieferanten passen. Die mindestens mehrtägigen Wartezeiten schließen die Lieferung von frischer Ware meist aus. Auch bei Rapunzel in Ludwigsburg gab es bereits vor dem Corona-Boom frische Lebensmittel online nur für ausgewählte Stammkunden. „Wir könnten die Logistik gar nicht stemmen“, sagt Inhaberin Deutscher.

Wenn die Supermärkte ausverkauft sind, dann stehen zudem die Waren online ebenfalls nicht zur Verfügung. Auch regional sind Lieferungen über das Internet nur sehr begrenzt verfügbar, vor allem in Großstädten. Dort gibt es aber sowieso ein umfangreiches Ladenangebot. Auf dem Land, wo Online-Lieferungen eine Lücke stopfen könnten, sind sie mangels Rentabilität kaum präsent. Wenn es also darum geht, älteren Menschen beim Lebensmitteleinkauf den Gang in den Laden zu ersparen, bleibt letztlich nur eine praktikable Methode: die Nachbarschaftshilfe.