Der schleppende Auftakt der Touristensaison lässt Montenegro in diesem Sommer das Ausbleiben der pflegeleichten Besucher fürchten. Der StZ-Balkan-Korrespondent Thomas Roser hat nach seinem Urlaub eine E-Mail geschrieben.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Stuttgart - Es war nicht nur der röchelnde Großstadthusten der Kinder, sondern auch die stete Sucht nach der Bucht, die uns die Flucht ins Land der Schwarzen Berge nehmen ließ. Heftig schaukelte sich der Propellerflugzeug-Veteran von Serbiens Hauptstadt Belgrad durch dicke Regenwolken und zwischen hohen Gebirgsrücken ans Ziel. Von steilen Bergflanken umsäumt lag unter uns die Bucht von Kotor. Ein Regenbogen spannte sich über Montenegros beeindruckendste Szenerie, als wir in unserem Quartier niederstrichen. „Für einen Besuch am Meer ist immer eine gute Zeit“, begrüßte uns freundlich unser Herbergsvater Zoran im Nieselregen.

 

Doch ausgerechnet bei der geschätzten Stammklientel findet der Lockruf der Bucht in diesem Jahr nur wenig Gehör. Obwohl unter den Palmen von Kotor schon die ersten Müßiggänger flanieren, fiebern Montenegros Gastronomen der Saison eher mit Bangen entgegen: Es ist die Angst vor dem Ausbleiben der Besucher aus dem Osten, die die Vorfreude auf den rollenden Russenrubel verdüstert.

Russlands Mittelstand liebt Montenegro

Seit Montenegros Unabhängigkeit 2006 haben sich die russischen Gäste zur wichtigsten Einnahmequelle der Gastronomie gemausert. Es sind nicht nur millionenschwere Tycoons und windige Geschäftsleute aus dem großen Bruderland, die dem Kleinstaat Bettenbunker von fragwürdiger Ästhetik bescheren, besonders im Touristenmekka Budva. Vor allem Russlands Mittelstand hat in den vergangenen Jahren Montenegros Gestade aufgesucht. 2014 ging fast ein Drittel der Übernachtungen auf das Konto der ausgabefreudigen Gäste aus dem Osten.

Doch die slawischen Bruderbande sind seit der Ukraine-Krise gehörigem Druck ausgesetzt. Schon vor Jahresfrist drohte Moskau mit einem Touristenboykott und sogar mit gegen die Hauptstadt Podgorica gerichteten Raketen, weil sich der EU-Anwärter den Sanktionen angeschlossen hatte. Das Hotelgewerbe bekommt die Folgen des fernen Kriegs empfindlich zu spüren. Ein „schwaches Interesse“ vermeldete besorgt die Zeitung „Vijesti“ von der Tourismus-Messe in Moskau. Es sei mit einem Rückgang der Buchungen von 30 bis 50 Prozent zu rechnen.

„Russen sind angenehme Gäste“

Tatsächlich trudeln in der Bucht die ersten Absagen Osten ein. Russlands Wasserball-Verband hat sein Trainingslager mit insgesamt 6000 Übernachtungen genauso storniert wie Russlands Erziehungsministerium seine seit vier Jahren an der Adria organisierten Englisch-Sommerkurse.

Doch zumindest unser Herbergsvater scheint sich nicht schrecken zu lassen und verpasst seinen Ferienwohnungen einen neuen Anstrich. Er hofft, dass der wieder angezogene Rubelkurs zumindest die russischen Individualtouristen ihren Weg in die Bucht finden lässt. Nicht nur, weil sie sich gerne von ihm zu Angel- und Tauchtouren schippern lassen, ist Zoran auf die spendablen Besucher gut zu sprechen: „Die Russen sind angenehme Gäste, klagen nie, mögen meinen Fisch und sind einfach glücklich, wenn sie am Meer sind.“