Die EU will bei der Zukunft der Mobilität ganz vorne sein und einen einheitlichen Ladestecker für Elektroautos einführen - ein Kräftemessen.

Stuttgart - Geräuschlos rollt der Wagen auf den Parkplatz. Hat sich die Hörgeräteindustrie eigentlich schon beschwert, dass ihnen das Elektroauto das Geschäft kaputtmachen wird, weil die Musikanlage nicht mehr den Verbrennungsmotorenlärm übertönen muss? Pascal Bick drückt auf den Aus-Knopf und steigt aus. Hier, am Place de la Republique mit Blick auf den Turm des Straßburger Münsters, steht eine Zapfsäule der Zukunft: eine elektrische Ladestation. Bick, Mitarbeiter bei den Stadtwerken, die der Electricité de France gehören, zückt seine Karte und weist sich aus. Das schwarze Verdeck öffnet sich, es kann getankt werden.

 

Die neue Mobilität ist in Straßburg - wie in vielen anderen Städten auch - schon ein bisschen Wirklichkeit geworden. 90 Elektroautos sind auf den Straßen der elsässischen Metropole unterwegs, leise und ohne Kohlendioxidausstoß. Irgendwann soll der Strom dafür dann nicht mehr aus Kohlekraftwerken oder Atommeilern kommen, sondern aus Windparks und aus Solaranlagen, und die Welt kann gerettet werden. Der Weg dahin jedoch ist noch weit.

Ein einheitlicher Ladestecker soll her

Das weiß auch Pascal Bick, ein nüchterner Beamtentyp, der schon 1985 beim örtlichen Energieversorger anfing, als der noch gar nichts mit Autos zu tun hatte. Zum Beispiel kann er mit seinem silbernen Japaner nicht über den Rhein hinüber nach Kehl oder gar noch weiter fahren. Drüben in Deutschland gibt es freilich auch erste Versuche und Ladestationen. Blöd nur, dass dort der Stecker nicht passt. Den, der noch im Auto steckt, muss Bick mit einem kräftigen Ruck herausziehen. "Die Handhabung des Steckers", sagt der französische Strommanager entschuldigend, "ist noch verbesserungsfähig."

Das sieht auch die Politik so. Wer künftig von A nach B fährt, will nicht wie früher an der Grenze haltmachen müssen. Ein europäischer Einheitsstecker soll deshalb her. Er ist "ein entscheidender Faktor", damit es vorangehen kann, wie es bei Daimler in Stuttgart heißt. Und es muss zugleich einer sein, der alles kann und Europas Autobauern auch in einer grünen Zukunft den Platz an der Sonne sichern soll. Im Juni vergangenen Jahres erteilte die Brüsseler EU-Kommission den europäischen Normbehörden das Mandat, diesen Superstecker zu bestimmen. Und es muss schnell gehen, wie die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel Anfang Februar schlussfolgerten: "Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, im Benehmen mit den europäischen Normungsgremien und der Industrie die Arbeit zu beschleunigen, damit bis Mitte 2011 technische Standards für Ladesysteme für Elektrofahrzeuge (...) angenommen werden können." So diplomatisch, so gut.


Von Beschleunigung aber kann keine Rede sein. Es gibt Streit. Und es gibt zwei Stecker, die jeweils von mächtigen Interessengruppen mit mächtigen Politikern im Rücken protegiert werden. Hinter dem "deutschen" Stecker stecken die europäischen Autobauer, mehrere Energieunternehmen und nicht zuletzt die Bundesregierung. Bei Daimler loben sie "seine kompakte Bauform bei gleichzeitig einfacher Bedienung, Benutzersicherheit und hoher Leistungsfähigkeit". Hinter dem "französischen" Stecker, der eigentlich in Italien entwickelt wurde, sammelt sich eine "Plug Alliance" mit dem Pariser Elektrotechnikkonzern Schneider Electric an der Spitze. Auch dort scheinen die Verbindungen in den Elysée-Palast nicht die schlechtesten zu sein. "Da steckt letztlich sehr viel Politik dahinter", sagt Mark Walcher, Leiter Elektromobilität von Dornier Consulting und zugleich Projektmanager für die EnBW.

Zwischen den Hügeln des Sauerlandes warten sie gespannt darauf, wie das Kräftemessen ausgeht. In dem kleinen Kaff Kirchhundem, unweit von Winterberg, wo die Skispringer sich ins Tal stürzen, hat die Firma Mennekes ihren Sitz. "Was mir schon Bauchschmerzen macht, ist dieser Schwebezustand", gesteht Stefan Gattwinkel, der Leiter der Entwicklungsabteilung. Der Ingenieur hat in einer Hauruckaktion ein früheres Steckermodell, das schon Strom und Daten leiten konnte, weiterentwickelt und gerade noch rechtzeitig bei der Normbehörde eingereicht. Viel Zeit ging drauf, das Ding kleinzubekommen. Ein Stecker, durch den bis zu 63 Ampere fließen, passte bisher nicht in die Hand. Gut darin liegen musste er natürlich auch. Gattwinkels Mannschaft nahm sich also das Modell eines Rasierapparats zum Vorbild. "Wenn das jetzt auf der politischen Bühne scheitern würde - das wäre schon bitter."

"Der" Stecker könnte aus einem deutschen Familienbetrieb kommen

So weit aber ist es noch nicht. Neben der Werkshalle, wo Kontakte aus Messing und die Plastikteile des Steckers gefertigt werden, entstehen Büros für neue Mitarbeiter. Sie kommen, wenn Mennekes' Stecker Europas Stecker wird. Finden würden sie hier viel von dem, was sich der gerühmte deutsche Mittelstand gern an die Fahne heftet: Tradition, Familienbetrieb, Weltmarktführer bei Industriesteckern. Und der Chef ist einer, der Lehrlingen mit gutem Zeugnis eine Cola hinstellt und bei schlechten Noten die eigene Ehre beleidigt sieht. Oder auf der Elektronikmesse in Dubai der Konkurrenz aus Fernost die Leviten liest und deren Stand schließen lässt, weil sie seine Produkte nachbaut.

Und natürlich ist auch eine Portion Vitamin B im Spiel, wenn es darum geht zu erzählen, wie dieser Walter Mennekes, 63 Jahre alt, ins Geschäft mit dem Elektroauto einstieg und in seiner Firma den "deutschen" Stecker bauen ließ. Wobei Vitamin B hier nicht nur für Beziehungen, sondern auch für Bayern München steht, wo Mennekes seit 25 Jahren Mitglied ist.


Es ist Herbst 2008. Die Münchner kicken gegen Wolfsburg, als auf der Haupttribüne das Verwaltungsbeiratsmitglied Mennekes dem Aufsichtsratsmitglied Martin Winterkorn den Prototyp eines Steckers in die Hand drückt. Der Sauerländer hat kurz zuvor ein Interview mit dem VW-Vorstandschef in der "Zeit" gelesen. "Die Zukunft wird den Elektromotoren gehören", so Winterkorn darin, "betankt aus der Steckdose." Mennekes, der Steckermann aus dem Sauerland, fühlt sich angesprochen. Als Winterkorns Leute ihm später antworten, dass der Stecker im Prinzip der richtige sei, wenn er noch weiterentwickelt werde, wittert er ein großes Geschäft und geht aufs Ganze. Softwareentwickler und Datentechniker werden eingestellt, es soll ja ein kluger Stecker werden, der zwischen Autofahrer und Energieunternehmen Kontakt herstellt. Die Firma konzentriert sich fast nur noch auf dieses Projekt, das Kerngeschäft läuft - nicht ganz risikolos - nebenher. "Nur wer häufig aufs Tor schießt", sagt Walter Mennekes dazu, "trifft auch mal."

Seit dem Wolfsburg-Spiel, in dem die Münchner Bayern viermal trafen, läuft auch die Sache mit dem Stecker. Denn wer Winterkorn kennt, bekommt auch Kontakt zu den Brüderles, Röttgens und Merkels - und zu Oettinger, dem EU-Energiekommissar.

Im neunten Stock des Brüsseler Kommissionsgebäudes steht deshalb Anfang Februar ein knallgelbes Bobbycar herum. Mennekes' Mannschaft hat es zu Demonstrationszwecken mit einer Steckdose versehen. Auch eine echte Ladesäule ist hereingerollt worden. Das Konkurrenzprodukt aus Italien liegt ebenfalls auf dem Tisch und wird mit vorbereitetem Alltagsdreck eingeschmiert. Das soll beweisen, dass es schon nach ein paar Steckvorgängen gewaltig hakt. Zudem erklären die Sauerländer lang und breit, warum ihr Stecker im Gegensatz zum italienischen keine Schutzklappe hat. Er sei im Innern mehrfach gesichert, hinfällig daher das von Italienern und Franzosen vorgebrachte Argument, der deutsche Stecker sei nicht sicher.

Gegenteilige Interessen blockieren die Entscheidung

Pikant ist die Vorführung, weil ihr nicht nur Günther Oettinger lauscht, sondern auch Antonio Tajani, der Industriekommissar, der kürzlich immerhin schon das einheitliche Handyladekabel präsentierte. Tajani ist Italiener und schaut etwas betreten auf den Boden, wenn der italienische Stecker ein ums andere Mal sein Fett wegkriegt. Am Ende sichert er der deutschen Delegation feierlich zu, dass er keinerlei Einfluss auf die Entscheidung nehmen werde. "Wenn Ihre Lösung die beste ist", so Tajani, "ist das für mich in Ordnung." Die Normbehörden seien unabhängig. Das stimmt formal natürlich auch.

Interessen spielen trotzdem hinein, wenn das Europäische Komitee für die elektrische Standardisierung, kurz Cenelec genannt, das Maß aller Dinge benennt. Denn beraten wird sie dabei von Industrievertretern aller beteiligten Branchen. "Gegensätzliche Anforderungen" stellten diese, klagte im November die spanische Generaldirektorin Elena Santiago Cid in einem Brief an Tajani, um ihm aber zu versichern, dass "flexibel und schnell" entschieden werde. Danach sieht es derzeit jedoch nicht aus. "Es geht nicht voran", berichtet einer, der die Sitzungen verfolgt, "die ganze Sache ist total blockiert." In dem Gremium "knallen die Fronten aufeinander", weiß auch Unternehmer Mennekes. Oettinger dringt auf schnelle Entscheidungen - nicht zuletzt aus Wettbewerbsgründen: "Sonst wird am Ende nicht der deutsche oder der französische Stecker europäischer oder gar internationaler Standard, sondern der chinesische."


Kommen die Normierer zu keinem Urteil, liegt der Ball wieder im Feld der Politik. Brüssel müsste entscheiden - im Kreuzfeuer nationalstaatlicher Interessen. Das Geschacher ginge von vorn los. Immer nämlich, wenn die EU etwas entscheiden muss, spielen nationale Prägungen oder kulturelle Unterschiede hinein.

Die Franzosen sehen das Ganze eher pragmatisch. Die Deutschen möchten es, um im Klischee zu bleiben, besonders gut machen. "Wir wollen, dass die Elektroautos der Zukunft auch als Stromspeicher für erneuerbare Energien genutzt werden", sagt Projektmanager Walcher von der EnBW. Wenn der Wind besonders stark über die Offshoreparks in der Ost- und Nordsee hinwegbläst und viel Strom erzeugt, soll der in den Garagen der Republik zwischengelagert werden und später wieder aus den Autos abfließen, wenn er gebraucht wird. Das verlangt auch nach einem besonders raffinierten Stecker. "Die Franzosen mit ihrem vielen Atomstrom dagegen wollen hauptsächlich, dass das Auto schnell und einfach geladen wird", berichtet Walcher von seinen Erfahrungen mit dem Pilotprojekt Straßburg-Kehl.

Das klappt auch bei Pascal Bick nicht immer auf Anhieb. Die Ladestation in einem Parkhaus nahe des Straßburger Hauptbahnhofes akzeptiert seine Karte nicht. Er lacht verlegen. "Sie sehen, es gibt noch viel zu tun!" Grenzüberschreitend geht ohnehin noch nichts - deutsch-französisches Pilotprojekt hin oder her. Die von Daimler gestellten Smarts aus Kehl mit ihren Mennekes-Steckern können hier genauso wenig tanken wie Pascal Bicks Toyota drüben in Deutschland. Auch er wartet dringend auf Brüssel. "Erst wenn der Standard festgelegt ist", so Pascal Bick, "wissen wir, dass wir nicht umsonst investieren."


CEN Das europäische Komitee für die Standardisierung ist ein Dachverband nationaler Normbehörden von insgesamt 31 Staaten. Neben allen EU-Staaten unterwerfen sich auch Kroatien, Schweiz, Norwegen und Island den freiwilligen Vereinbarungen des Gremiums. Sie sind damit zugleich Teil der Gremien, die über neue Standards abstimmen. In die Arbeitsgruppen werden auch Experten aus allen betroffenen Branchen berufen. Der Wunsch nach einer Norm geht entweder von der Industrie selbst oder über ein Mandat von der EU-Kommission aus.

CENELEC Eng mit dem CEN verbunden und in Brüssel im gleichen Bürokomplex beheimatet ist auch die Organisation CENELEC - eine Art Unterabteilung, die alle elektrotechnischen Fragen auf den Tisch bekommt, also auch den Stecker für Elektroautos.

ETRI Die zweite Branche, für die es eine eigene Organisation gibt, ist der Telekomsektor. Auch ETRI funktioniert nach demselben Prinzip wie die Hauptbehörde CEN.