Wenn die Ladeinfrastruktur immer besser werde, würden mehr Elektromobile gekauft, deshalb soll Gerlingen mehr in deren Ausbau investieren, fordern die Grünen und die Jungen Gerlinger. Die Verwaltung glaubt, es gebe ausreichend Stationen – und wenn nicht, sollten Private es richten.

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens 15 Millionen Elektroautos auf die Straßen zu bringen. Gelingen soll das durch den massiven Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur. Bei der Umsetzung sieht Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vor allem Städte und Gemeinden in der Pflicht. „Kommunen, die eine schlechte Ladeinfrastruktur haben, werden das spüren“, warnte Wissing.

 

Konkrete Angaben, wie dicht dieses Ladenetz in den Städten sein soll, machte der Bundesminister nicht. Und so sieht zum Beispiel auch Gerlingen aktuell keinen Anlass, die Zahl der kommunal geförderten Ladepunkte deutlich zu erhöhen. Die Begründung: weil die Ladevorgänge vorwiegend am eigenen Haus stattfinden, sei „die derzeitige Versorgungslage mit AC-Ladestationen im Gerlinger Stadtgebiet ausreichend“, so die Stadtverwaltung in ihrem jüngsten Sachstandsbericht, der im Rahmen der vergangenen Gemeinderatssitzung präsentiert wurde. Die mit Wechselstrom betriebenen AC-Säulen laden Elektrofahrzeuge in normaler Geschwindigkeit. Zum Hintergrund: Schneller und teurer sind DC-Säulen, die mit Gleichstrom und einer Leistung bis zu 350 Kilowatt betrieben werden.

Stadt setzt auf privaten Sektor und lokale Wirtschaft

In Gerlingen, wo aktuell 993 Elektrofahrzeuge registriert und sechs kommunal geförderte AC-Ladestationen der EnBW mit je zwei Ladepunkten (aber noch keine Schnellladesäule) in Betrieb sind, will man deshalb andere Weg gehen: Zwar plant man auch hier „geringfügige Arrondierungen“ bei der Anzahl der Ladesäulen. So sollen demnächst an der Jakob-Bleyer-Straße vier neue Ladepunkte installiert sowie eine stillgelegte Anlage am Zedernweg aktiviert werden. Doch strategisch setzt die Stadtverwaltung Gerlingen bei dem Thema vor allem auf den privaten Sektor und entsprechende Aktivitäten der lokalen Wirtschaft.

So will es die Kommune künftig jedem erleichtern, bei Bedarf Kabel auch über öffentliche Flächen zu verlegen, um beispielsweise private Garagen mit Strom zu versorgen. Zudem mache sich Gerlingen, so Bürgermeister Dirk Oestringer (parteilos) dafür stark, dass die Eigentümerin des Gerlinger Stromnetzes, die Energieversorgung Strohgäu, die Netzkapazitäten zügig ausbaut. Bei der Entwicklung einer kommunalen Strategie seien „die Aktivitäten der lokalen Wirtschaft nicht außer Acht zu lassen“, begründet die Stadtverwaltung ihre Zurückhaltung beim aktiven Ausbau der Ladeinfrastruktur. Tatsächlich stellen in Gerlingen einige Firmen Ladeplätze zur Verfügung, die auch der Öffentlichkeit zur Nutzung offen stehen.

Supermärkte sollen Ladestationen aufstellen

Dazu passt, dass eine Schnellladestation in der Gerlinger Innenstadt künftig nur in Kooperation mit dem örtlichen Lebensmitteleinzelhandel realisiert werden soll. Eine eigene Schnellladestation sei laut EnBW in Gerlingen „wirtschaftlich nicht darstellbar“, so Oestringer. Richten sollen es deshalb nun die Supermarktketten, die entsprechende Angebote auf ihren Parkplätzen vorhalten sollen.

Kritik kommt im Gemeinderat angesichts dieser allzu passiven Strategie von den Grünen und den Jungen Gerlingern: „Infrastruktur“, sagt beispielsweise die Stadträtin Ulrike Stegmaier (Grüne), „ist Aufgabe der Kommune.“ Und Judith Stürmer (Junge Gerlinger) liest angesichts steigender E-Fahrzeugzahlen „deutlich einen Bedarf nach Schnellladestationen“ aus dem Sachstandsbericht heraus.

Haben die Bewohner von Mehrfamilienhäusern Nachsehen?

Und in der Tat birgt die Fokussierung auf den privaten und privatwirtschaftlichen Ausbau der Ladeinfrastruktur zahlreiche Gefahren: So dürfte ohne einen massiven Zuwachs an Ladesäulen am Straßenrand die Mobilitätswende künftig an Bewohnern von Mehrfamilienhäusern ohne eigene Garagen und Parkplätze weitgehend vorbeigehen. Und auch Verkehrsminister Wissing hatte erst kürzlich klargestellt, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur sich eben nicht am gegenwärtigen Bedarf orientieren kann. „Der Umstieg auf die Elektromobilität“, so der Minister, „kann nur gelingen, wenn Nutzerinnen und Nutzer von den Vorteilen der Elektromobilität überzeugt sind.“

Soll heißen: Wer hier Henne und wer Ei ist, ist längst entschieden. Nicht die aktuelle Zahl der Elektrofahrzeuge auf den Straßen soll den Ausbau der Ladeinfrastruktur vorantreiben. Ein Schuh wird nur umgekehrt daraus.