Die Reutlinger Schnier Elektrostatik GmbH hat unter 80 Bewerbern den ersten Platz beim diesjährigen Dr.-Rudolf-Eberle-Preises gewonnen. Die Firma zeigt, wie man auch als kleines Unternehmen dank cleverer Ideen auf dem Weltmarkt bestehen kann.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Damit lassen sich die Taktzeiten beim Lackieren ganz erheblich verkürzen“, sagt Olav Schnier zu der jüngsten Entwicklung seines Unternehmens. Mit dieser hat Schnier Elektrostatik aus Reutlingen unter 80 Bewerbern den ersten Platz bei der Verleihung des Landesinnovationspreises, des Dr.-Rudolf-Eberle-Preises, errungen – verbunden mit einem Preisgeld von 20 000 Euro. Was die Jury beeindruckte, war ein kleiner, rohrartiger Kasten – ein Entlader für Hochspannung. Dieser soll genau die Hochspannung wieder beseitigen, die der zigarrenschachtelgroße Hochspannungserzeuger produziert, auf die er montiert ist. Beides zusammen kann auf die Arme eines Lackierroboters montiert werden und dann seine Wirkung entfalten. „Durch den Entlader verkürzt sich die Taktzeit des Roboters ganz gewaltig“, meint der Geschäftsführer. „Und man spart Lack“.

 

Immer wieder nämlich müssen die Düsen des Roboters zwecks Reinigung in eine Lösung eingetaucht werden. Ohne die preisgekrönte Innovation müsste die Hochspannung zuvor erst langsam abklingen. Das könnte zwischen 15 Sekunden und einer Minute dauern. So aber wird die Energie in weniger als einer Sekunde entladen – eine beachtliche Zeitersparnis, bedenkt man, dass etwa die Karosserie eines Volkswagens in 55 Sekunden komplett lackiert wird. Dass Hochspannung erzeugt wird, die nachher wieder verschwinden muss, ist keineswegs widersinnig. Setzt man das Teil, das lackiert werden soll, unter Hochspannung, wird weniger Lack verschwendet: Ähnlich wie ein Magnet zieht dank der Hochspannung das zu lackierende Teil die aus einer Düse kommenden Lacktröpfen an – obwohl „von vorne“ angespritzt, umschließt der Lacknebel auch den Rest des Teiles, nur wenige Tröpfchen fliegen einfach vorbei. Ohne Hochspannung wären dies etwa 70 Prozent, so sind es weniger als zehn Prozent der Lacktröpfchen.

„Lackieren unter Hochspannung ist Stand der Technik“, sagt Entwicklungsleiter Rudi Winterhalter, „aber das schnelle Entladen, das kommt von uns“. Dabei darf man sich die Hochspannung aber nicht als ständig surrenden Strom wie in einer Überlandleitung vorstellen: „Es ist eher so, wie wenn jemand beim Einsteigen ins Auto oder beim Anziehen seines Pullovers einen leichten Schlag kriegt,“ erklärt Schnier.

Das Unternehmen hat harte Zeiten überstanden

Auch Schnier hätte, im übertragenen Sinne, beinahe einmal der Schlag getroffen – in der Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009. „Die Banken haben uns damals komplett im Stich gelassen“, berichtet der Geschäftsführer – genau die Banken, die sich sonst als die stets freundlichen Helfer des heimischen Mittelstands rühmen. „Die Kunden“, etwa ein großer Lackieranlagenhersteller aus Böblingen, aber auch die Lieferanten aus der Umgebung dagegen hielten dem Unternehmen die Treue. Und Schnier selbst hat in diesen schweren Jahren sein ganzes Privatvermögen mit aufs Spiel gesetzt: „Das waren schon schlaflose Nächte“. Auch die Gründung des Unternehmens stand eigentlich unter keinem guten Stern: Der Vater hatte sich beim Hausbau finanziell übernommen und brauchte zusätzlich einen Nebenjob. Unter dem Namen der Mutter wurde deshalb eine Firma angemeldet. Diese war im Bereich der Elektrotechnik tätig – der Grundstein für das heutige Unternehmen war gelegt. Der Vater baute unter anderem Schaltschränke, war aber auch schon in der Elektrostatik tätig, etwa mit einem Gerät zum Beflocken der unterschiedlichsten Gegenstände. Als Sohn Olav 1995 in das Unternehmen kam baute er den Lackierbereich zügig aus: Heute bringt dieser 90 Prozent des Umsatzes. Im am 31. März zu Ende gegangene Geschäftsjahr 2014/15 erreichte dieser etwas mehr als vier Millionen Euro – viermal soviel wie in der Krisenzeit. Das Unternehmen scheint auch recht profitabel zu sein – heute braucht Schnier kein Geld mehr von den Banken, das zunächst angemietete Firmengebäude wurde kürzlich gekauft. Deshalb muss dort jetzt jemand ausziehen – aber das Unternehmen kann anschließend seine Produktionsfläche verdoppeln.

Ein Meilenstein waren Anfang des Jahrhunderts Hochspannungserzeuger für die US-Tochter des japanischen Roboterherstellers Fanuc. Durch den über Volkswagen in Wolfsburg vermittelten Kontakt „kamen wir von Zehnerstückzahlen zu Hunderterstückzahlen“, sagt Schnier. Heute sitzt bei ihm der Entwickler Zonglou Huang vor einem Bildschirm. Große Lackieranlagenbauer im Südwesten gehören schon lange zu den Kunden – die Sprachkenntnisse des Mitarbeiters aber öffneten auch den Weg auf den chinesischen Markt. „Wir sind hier wie eine Familie“, sagt Schnier, der seinen Beschäftischäftigten einen kleinen japanischen Garten angelegt und einen knallroten Massagesessel in ein Zimmer gestellt hat.