Die Reaktionen fallen immer verzweifelter aus. Die Regierung will innerhalb von drei Tagen alle Häuser durchsuchen lassen, um nicht gemeldete Erkrankte aufzuspüren und in Kliniken zu überweisen. Die Maßnahme ist unter Experten umstritten.  

Sierra Leone - Die Reaktionen fallen immer verzweifelter aus. Nachdem vergangene Woche gemeldet wurde, dass sich die Ebola-Epidemie in Westafrika mit inzwischen mehr als 2100 Todesopfern drastisch ausgebreitet hat, ordnete die Regierung von Sierra Leone jetzt eine totale Ausgangssperre der Bevölkerung für drei volle Tage an. Zwischen dem 19. und 21. September soll die tatsächliche Zahl der Erkrankungen erhoben und alle nicht gemeldeten Erkrankten in Isolierstationen überwiesen werden. Die Maßnahme ist unter Experten umstritten.  

 

Während der Ausgangssperre, die von 21 000 Soldaten und Polizisten überwacht werden soll, werden mehr als 7000 Pflegekräfte die Häuser und Hütten in den Städten und Dörfern des Landes durchsuchen, um nicht gemeldete Erkrankte aufzuspüren.   „Wir wissen, dass es noch immer Nester des Widerstandes gibt“, sagte Ibrahim Ben Kargbo, ein Berater des Präsidenten und Mitglied der Ebola Task Force in Sierra Leone. Gemeint sind Familien, die Erkrankte aus fehlgeleiteter Furcht verstecken, statt sie den Behörden zu melden.  

Kritiker fürchten Vertrauensbruch

Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ meldet Zweifel an der Ausgangssperre. Die Erfahrung habe gezeigt, dass derart erzwungene Maßnahmen im Kampf gegen die Seuche eher schädlich seien, sagte eine Sprecherin der Organisation, die mit mehr als 400 Pflegekräften den Löwenanteil der Anstrengungen zur Eindämmung der Epidemie in der Region übernommen hat.   Maßnahmen dieser Art führten zum Vertrauensbruch zwischen dem medizinischen Personal und der Bevölkerung, zu verstärkter Verheimlichung von Erkrankungen und damit zu einer weiteren Verbreitung des Virus.

Das Nachbarland Liberia hat bereits negative Erfahrungen mit der Abriegelung eines Slums in der Hauptstadt Monrovia gemacht. Nachdem Sicherheitskräfte den Stadtteil abzuriegeln suchten, kam es in West Point zu Unruhen.   Fragwürdig ist die Ausgangssperre nach Auffassung von „Ärzte ohne Grenzen“ auch, weil eine daraus resultierende Einweisungsflut neuer Patienten die Einrichtungen überfordern würden. „Was Sierra Leone und Liberia derzeit am dringendsten brauchen, sind zusätzliche Betten in den Isolierstationen“, sagte eine Sprecherin. Die nach ihren französischen Initialen mit MSF abgekürzte Organisation hat in Monrovia kürzlich eine Isolierstation mit 160 Betten eingerichtet. „Eigentlich bräuchten wir schon jetzt 800 Betten“, sagte der MSF-Koordinator Stefan Liljegren. „Ich muss ständig neue Patienten abweisen.“ Die  MSF-Präsidentin Joanne Liu hatte vergangene Woche die internationale Gemeinschaft aufgerufen, sowohl zivile wie militärische Experten zur Seuchenbekämpfung in die Krisenregion zu entsenden. Nur mit verstärkter internationaler Hilfe könne der Seuche Einhalt geboten werden, sagte Liu.

Pflegekräfte sehen sich nicht adäquat ausgerüstet

Die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO, Margaret Chan, teilte indessen mit, die Rekrutierung ausländischer medizinischer Fachkräfte gestalte sich als schwierig. Die Angst vor dem Virus schrecke die Helfer ab, sagte Chan.   Sowohl in Liberia wie in Sierra Leone traten Pflegekräfte in Kliniken in den Streik, weil sie sich unterbezahlt und nicht adäquat ausgerüstet sehen. Ihnen fehlen Schutzanzüge, Brillen und Gummihandschuhe, die zur Behandlung der ansteckenden Patienten überlebenswichtig sind. Fast zehn Prozent der Opfer der Epidemie sind Pflegekräfte, selbst prominente westafrikanische Ärzte fielen dem Virus zum Opfer.

  Trotz der MSF-Kritik will die Regierung Sierra Leones an den Plänen einer Ausgangssperre festhalten. Die Maßnahme werde die Ausbreitung der Seuche „minimieren“, sagte der Informationsminister Alpha Kanu. Die Bevölkerung solle sich wie zu Zeiten des Bürgerkriegs in den 90er Jahren mit Lebensmitteln eindecken.

Die WHO hat ihre Abwiegelungsstrategie gegenüber der Seuche inzwischen aufgegeben. „Wir sind ob der neuen Zahlen sehr besorgt“, sagte der Strategie-Direktor der UN-Organisation, Christopher Dye. „Wenn die Tendenz anhält, werden wir wöchentlich nicht Hunderte von neuen Fällen, sondern Tausende erleben.“ Mittlerweile werden aus fast allen Landesteilen Sierra Leones und Liberias neue Ansteckungsfälle gemeldet. Die WHO geht davon aus, dass bis zu 20 000 Menschen sterben, bevor die Seuche in drei bis sechs Monaten unter Kontrolle gebracht werden könne. Das ist die optimistische Prognose.