Das Ebola-Virus bringt den Betrieb einer ganzen Klinik zum Erliegen. Zwei Männer haben überlebt. Die Geschichte der Sankt-Joseph-Klinik in Monrovia könnte Hollywood als Vorlage zu einem Thriller dienen.

Liberia - Als 15-Jähriger wurde Joel Williams aus dem Priesterseminar geworfen. Er hatte einen Aufseher der „Brüder von Sankt John Gottes“ mit der Faust niedergestreckt – da stand für die Ordensoberen fest, dass der Junge vom Allmächtigen nicht als dessen Diener ausgewählt sein konnte. Heute müssen die Priester ihr Urteil korrigieren. Denn während in der Klinik des spanischen Ordens in der liberianischen Hauptstadt Monrovia zahlreiche Brüder und Schwestern der Ebola-Seuche zum Opfer fielen, blieb der inzwischen 47-Jährige wie durch ein Wunder verschont. „Ich sehe das als Zeichen Gottes“, sagt der Personalchef der Sankt-Joseph-Klinik. „Er hat noch etwas mit mir vor.“  

 

Williams steht im Hof des weiträumig angelegten Hospitals, das der spanische Orden vor 50 Jahren im Kolonialstil errichtete. Das Gelände mit seinen zwanzig Gebäuden ist menschenleer: kein Pfleger, der im weißen Kittel durch die Gänge eilt, in den Zimmern kein einziger Kranker. Seit Mitte August ist die 117-Betten-Klinik wie ausgestorben – im wahrsten Sinne des Wortes. 15 Angestellte, vom Chef über den Chirurgen bis zu Schwestern und Laborassistenten, wurden vor zwei Monaten von dem Virus angesteckt. Neun sind bereits tot. Als die Tragödie begann, suchten auch die Patienten das Weite. Nun steht das Krankenhaus leer.  

Die Geschichte könnte Vorlage eines Thrillers sein

Die Geschichte der Sankt-Joseph-Klinik könnte Hollywood als Vorlage zu einem Thriller dienen. Anfang Juli bringt ein Angestellter im Finanzministerium, Patrick Sawyer, seine schwangere, stark blutende Schwester Princess in die Klinik. Die Ärzte gehen von einer Fehlgeburt aus. Um die Frau schnell zu versorgen, hilft sogar der Klinikchef selbst. Princess, die sich in Wahrheit im Endstadium einer Ebola-Erkrankung befindet, stirbt. Ihr Bruder reist weiter nach Nigeria. Noch auf dem Flug erkrankt auch er und steckt in Lagos mindestens 19 Menschen an. Sieben von ihnen sind bereits tot, unter ihnen Sawyer selbst, der sich auf dem Weg in die USA befand, wo seine Familie lebt. Dort schlägt man ob der nur knapp abgewendeten Gefahr die Hände über dem Kopf zusammen.  

In der Sankt-Joseph-Klinik erkrankt in der Zwischenzeit dessen Direktor, der Priester Patrick Nshamdze. Er hatte sich bei Princess Sawyer angesteckt. Aus ungeklärten Gründen kommt ein erster Ebola-Test mit dem Befund negativ aus dem Labor zurück. Der Klinikchef wird vom Personal weder in Schutzanzügen noch unter Quarantäne behandelt. Nachdem Grippe- und Malariamedikamente nicht anschlagen haben, wird Bruder Patrick zwei Wochen später ein zweites Mal auf Ebola getestet, dieses Mal positiv. Nacheinander erkranken der Chirurg Senga Omeonga, der Priester Miguel Pajares, zwei weitere Ärzte, zwei Ordensschwestern, zwei Krankenschwestern sowie ein Sozialarbeiter, ein Laborassistent und ein Röntgenfachmann.

Auch Joel Williams Temperatur steigt an, doch sein Testresultat ist nicht eindeutig. Möglicherweise, spekulieren Experten, sei er schon früher mit dem Virus in Kontakt gekommen und habe Antikörper entwickelt.   Um sicherzugehen, schottet sich Williams mit den anderen Infizierten ab. Während die Kranken und die meisten Pflegekräfte fluchtartig die Klinik verlassen, ziehen sich die Infizierten in die Wohnungen der Belegschaft zurück. Zwei Pfleger, mit denen Williams ein Ärztehaus teilt, sterben direkt neben ihm. Danach kümmert sich Williams um eine Oberschwester und einen Laborassistenten. Er muss ständig ihre Ausscheidungen und ihr Blut aufwischen. „Ich stand mit meinen Pantoffeln fast bis zu den Knöcheln in ihrem Blut. Mein einziger Schutz war ein Paar Gummihandschuhe“, sagt der Personalchef. Williams überlebt. Er habe sich im Traum aus dem Mund, den Augen und Ohren bluten sehen, erzählt der gescheiterte Priesteranwärter. „Aber dann erschien mir Jesus und sagte: Du wirst nicht sterben.“  

Nur wenige bekommen das Anti-Ebola-Mittel „Zmapp“

Auch der Chirurg Senga Omeonga rang im Nachbarhaus mit dem Tod. „Ich war so schwach, dass ich nicht einmal mehr aufstehen konnte“, erzählt der Kongolese. Er hatte hohes Fieber, Durchfall und musste sich andauernd übergeben. „Es gab keinen Zweifel, an was ich erkrankt war.“ Zunächst wurde Omeonga von einer Helferin versorgt. Er habe sich zum Essen und Trinken zwingen müssen, erzählt der 53-Jährige. Später habe er zu halluzinieren und „blödsinniges Zeugs“ zu reden begonnen. Schließlich wurde er in die Isolierstation des staatlichen Elwa-Krankenhauses überführt. Dort wurde der Arzt als einer von nur sieben Personen ausgewählt, die das Anti-Ebola-Mittel ZMapp erhielten. Das in den USA entwickelte Medikament konnte bisher noch nicht getestet werden: „Aber in meinem Zustand“, so Omeonga, „probiert man alles, was helfen könnte.“  

Von den sieben Patienten, die ZMapp erhalten, überleben sechs – nur der 75-jährige spanische Bruder Miguel stirbt trotzdem. Das in den USA entwickelte Medikament wurde bisher nur in kleinster Menge hergestellt. Eine Reproduktion des in Tabakpflanzen gezüchteten Wirkstoffes wird mehrere Monate dauern.  

Omeonga würde jetzt gerne Urlaub bei der Familie in Kanada machen. Der Arzt weiß aber, dass er dringend gebraucht wird. Denn die Sankt-Joseph-Klinik will Anfang Oktober seine Tore wieder öffnen. Außer einer Entbindungsstation soll auch eine kleine Isolierstation für Ebola-Patienten eingerichtet werden. Der Chirurg Omeonga ist inzwischen so wertvoll wie kein anderer Arzt der Welt. Weil er als Überlebender gegen das Virus immun ist, kann er sich bedenkenlos wie kein anderer um die Infizierten kümmern. „Ich werde aber trotzdem meinen Schutzanzug tragen“, sagt der Kongolese mit einem Lächeln.