Die Hilfsorganisation Médecins sans Frontières kämpft in Westafrika fast im Alleingang gegen Ebola. Ihre Präsidentin Joanne Liu ist entsetzt über das, was sie dort sieht. Sie sagt: Statt Krankenhäusern braucht man bald Krematorien.

New York - Sie ist jung, sie ist unaufgeregt, die Tochter eines nach Kanada ausgewanderten chinesischen Restaurantbesitzers. Und im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Bernard Kouchner, der 1971 die Médecins sans Frontières, die Ärzte ohne Grenzen, gründete, ist die derzeitige internationale Präsidentin der Hilfsorganisation kein bunter Vogel: Kouchner war als Kommunist 1968 bei den Studentenunruhen an der Sorbonne beteiligt, zechte später mit Fidel Castro und saß schließlich in ganz verschiedenen französischen Regierungen auf Ministersesseln.

 

Sie ist der politische Kopf der Ärzte ohne Grenzen

Dagegen weist die 49-jährige Joanne Liu eine eher geradlinige Biografie auf: Medizinstudium, Fachausbildung zur Kindernotärztin und schließlich, bereits vor 18 Jahren, Eintritt bei den Ärzten ohne Grenzen. Als politischer Kopf des unabhängigen Hilfskonzerns, der 30 000 Personen in 70 Staaten beschäftigt, hat die gebürtige Quebecerin nun aber eine höchst profilierte Position. MSF, wie das Unternehmen nach seiner französischen Abkürzung allgemein genannt wird, gilt als exponierteste Hilfsorganisation der Welt. Die Notärzte pflegen auch in politisch verminten Krisengebieten wie einst in Ruanda, später dem Balkan oder heute in Syrien kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Auch wagen sie sich in Regionen vor, in die sonst keiner geht. Der Kampf gegen die Ebola-Epidemie in Westafrika wird fast im Alleingang von MSF geführt.

Die Helfer sind überfordert oder selber erkrankt

Schon im März dieses Jahres hatte die Organisation vor einer Eskalation der erstmals in dicht besiedelten urbanen Gebieten auftretenden Seuche gewarnt und sich damit ausdrücklich gegen die Weltgesundheitsorganisation WHO gestellt, die die Gefahr viel zu lange abzuwiegeln suchte. Selbst WHO-Berater räumen heute ein, dass die UN-Behörde in der westafrikanischen Krise versagt hat.

Dagegen tourte Joanne Liu selbst in das Ebola-Gebiet und war von dem, was sie sah, entsetzt. In Liberia, Sierra Leone und Guinea war das Gesundheitssystem praktisch zusammengebrochen, die MSF-Helfer erwiesen sich als völlig überfordert, andere ausländische Organisationen hatten – wie die WHO – ihr Personal abgezogen. Vor der UN in New York rief Liu am Dienstag die Weltgemeinschaft auf, die Seuche endlich so ernst zu nehmen, wie sie tatsächlich ist, und ihr zur Seuchenbekämpfung ausgebildetes militärisches sowie ziviles Personal zur Verfügung zu stellen. „Andernfalls“, sagt die Ärztin ohne Grenzen, „sind wir gezwungen, statt Behandlungszentren Krematorien zu errichten“.