Seit mehr als fünf Jahrhunderten ragt der Turm der Stephanuskirche über Echterdingen. Bei einer Führung blickt man nicht nur bis hinüber zur Ostalb, sondern auch auf die Stadtgeschichte.

Echterdingen - Ein leichter, kühler Wind weht um den Turm der Stephanuskirche in Echterdingen. 173 Stufen ist Friedrich Lauxmann nach oben gestiegen. Zuerst von der Empore über eine schmale Holztreppe zu einem Podest auf 33 Metern Höhe, dann auf einer engen Wendeltreppe aus Metall weiter zu einer Plattform auf 38 Meter Höhe. „Weiter dürfen wir nicht“, sagt der Turmführer und weist auf eine Absperrung und ein Verbotsschild. „Hier beginnt der Bereich der Flugsicherung.“ Mit wem auch immer Lauxmann eine Turmführung unternimmt, an diesem Punkt ist jedes Mal Schluss, und so auch diesmal.

 

Von einem kleinen Balkon blickt der ehemalige Mesner über die Filderebene. „Dort ist der Flughafen zu sehen, dahinter die Drei Kaiserberge, auch Filderstadt, Stetten, Leinfelden und im Norden die Stuttgarter Vororte, die vom Fernsehturm und den Hochhäusern im Asemwald überragt werden“. Und mindestens so interessant: der Blick nach unten auf das Rathaus und den Vorplatz der Kirche.

Die fünf Glocken sind computergesteuert

„Dort stand einmal die Echterdinger Burg“, weiß Lauxmann und zeigt nach unten. Deren Steine seien für den Kirchturm verwendet wurden. „Rund zwei Jahre hat der Bau gedauert“, sagt Lauxmann und denkt voller Bewunderung an die Baumeister, Steinmetze und Arbeiter, die Stein auf Stein nach oben zogen und so passgenau aufeinandersetzten, dass das Bauwerk die Jahrhunderte überstanden hat. Der heute 52 Meter hohe Turm selbst wird am 16. Januar 579 Jahre alt. „1439 wurdefür ihn nämlich der Grundstein gelegt“, erzählt Lauxmann.

Damals begnügte man sich noch mit einem 33 Meter hohen Bauwerk, auf dessen oberes Ende ein Glockenturm aus Holz gesetzt wurde. Heute schwingen fünf Glocken, darunter die zwei Tonnen schwere Herrenglocke „Dominica“, computergesteuert in einem Stahlgerüst, wodurch deren Fünfklang weithin zu hören ist. „Sie waren früher als Zeitgeber wichtig, riefen die Bauern vom Feld zum Mittagessen oder die Menschen zum Gottesdienst“, sagt Lauxmann. Die Glocken aus einer Bronzelegierung stammen freilich nicht mehr aus dem ausgehenden Mittelalter: Im Krieg wurden sie teilweise zu Geschützrohren geschmolzen oder mussten aus anderen Gründen ersetzt werden. „Aber die kleine Petrusglocke hat als einzige den Zweiten Weltkrieg überstanden“ ergänzt er. Sie sei von einem Armenier gestiftet worden, der in einem syrischen Waisenhaus in Jerusalem aufgewachsen war und später in Echterdingen bei der Orgelfabrik Weigle gearbeitet hat. „Er ist hier so gut behandelt worden, dass er in den 1920er-Jahren diese Glocke gestiftet hat, alle anderen stammen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Sogar aus dem Sillicon Valley gab es schon Anfragen

Der Krieg hatte dem Bauwerk kaum etwas anhaben können, dafür macht die Luftbelastung dem Sandstein heute zu schaffen. „Und bei jeder Reinigung wird es schlimmer“, sagt Lauxmann. Zu sehen ist das besonders an den kleinteiligen Verzierungen oben an der Außenseite des Turms, die Wind und Wetter völlig ausgesetzt sind.

Seit vielen Generationen begleitet der Turm Menschen durch ihren Alltag, und er steht dabei auch für besondere Momente. Hoch über Echterdingen haben sich in luftiger Höhe schon ein Paar das Jawort gegeben, sagt Lauxmann schmunzelnd. Sogar eine Anfrage aus dem Silicon Valley für eine Turmbesichtigung habe es schon gegeben.

„Es macht mich glücklich, wenn man Menschen mit Führungen eine Freude bereitet und sie die Gegend von oben betrachten können“, sagt Lauxmann. Auch hier gelte der Spruch: auf die Perspektive kommt es an. Und es schadet ja nichts, wenn man diese auch einmal verändert.