Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy räumt moralische Fehler ein und teilt mächtig aus gegen seine früheren Weggefährten von der SPD. Den Verdacht, er habe Kinderpornos gekauft, weist er weit von sich.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Während Horden von Kameraleuten und Fotografen sich postieren, um die besten Bilder von Sebastian Edathy zu erhaschen, wird im Foyer der Bundespressekonferenz die laufende Parlamentsdebatte übertragen. Auf den Bildschirmen ist Thomas Oppermann zu sehen, Chef der SPD-Fraktion. Das ist einer der Männer, denen gefährlich werden könnte, was in den nächsten anderthalb Stunden hier passiert.

 

Es ist die Rückkehr einer tragischen Figur. Nach seinem Abtauchen im Februar war von dem 45-jährigen Sozialdemokraten nur ein Schwarz-Weiß-Foto samt 17 Zeilen biografischer Angaben auf Seite 96 des Abgeordnetenhandbuchs geblieben. Als Abgeordneter hat er aufgehört zu existieren. Es war ein Absturz ins Nichts.

Über Monate war er von der Bildfläche verschwunden. Irgendwo in Nordafrika hatte er sich versteckt. Da lebt er noch immer. Näheres will er nicht verraten, reagiert auf Nachfragen patzig: „Das geht Sie einen feuchten Kehrricht an.“ Edathy versichert: „Ich war nie auf der Flucht.“ Den Vorwürfen, die sich gegen ihn richten, kann er ohnehin nicht entkommen. Der Besitz kinderpornografischer Fotos und Videos wird ihm zur Last gelegt. Einem Prozess, der schon terminiert ist, kann er sich allenfalls durch eine Geldbuße entziehen. Damit ist alles ausgelöscht, was er sich in 15 Jahren als Parlamentarier erarbeitet hatte.

„Letzter großer Auftritt in Berlin“

Der Auftritt Edathys vor der blauen Wand, wo er den nach eigenem Bekunden „letzten großen Auftritt in Berlin“ zelebriert, mutet an wie ein Film. Dieser Film zeigt ihn wie zu seinen besten Zeiten: souverän und elegant, professionell im Auftritt, energiegeladen, schlagfertig, selbstbewusst gestikulierend und stets ein süffisantes Lächeln auf den Lippen. Aber der Film ist mit einem Text unterlegt, der nicht zu den Erinnerungen passt, welche die Bilder hervorrufen.

Edathy – ein gefallener Engel. Er war ein Mann mit Zukunft, hätte Staatssekretär werden können, eines Tages vielleicht auch mehr. Angeblich haben ihm SPD-Chef Sigmar Gabriel und Co. noch Hoffnungen auf eine Karriere gemacht, als sie schon im Bilde waren, in welche Schmuddelgeschichte er verstrickt ist. Als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses hatte Edathy wie ein jugendlicher Held in der Rolle des Großinquisitors agiert. Nun muss er sich selbst ungnädige Fragen gefallen lassen. Ausgerechnet er.

An der Spitze der SPD haben sie dieser Wiederauferstehung entgegengezittert. Für Leute wie Oppermann steht viel auf dem Spiel. Und damit für die ganze Partei. Was treibt Edathy an? Wen reißt er mit in den Skandalstrudel? Wenn Edathy die Wahrheit sagt, entlarvt er womöglich führende Genossen als Lügner und Heuchler.

Kein Wort über die wahren Opfer

Edathy redet nicht von Schuld, jedenfalls nicht von seiner. Er redet zunächst nur über sich. Er sehe sich einer „großen psychischen Belastung“ ausgesetzt, einer „öffentlichen Vorverurteilung“, zudem „sehr massiven Bedrohungen“. Wie seit Monaten versucht er sich als Opfer zu stilisieren. Edathy hält sich für „verfemt“. „Ich werde hingerichtet“, simst er, als die Polizei ihm zu Leibe rückte, um in Wohnungen und Büros nach Kinderpornofotos zu suchen. Er werde behandelt wie „ein Aussätziger“, beklagt er sich bei anderer Gelegenheit. Bei Facebook postet er ein Hölderlin-Gedicht: „Vom Abgrund“, so beginnt die erste Zeile. Jetzt versichert er aber, er fühle sich „von Selbstmitleid weit entfernt“. Selbstzweifel scheinen ihn jedenfalls nicht zu plagen.

Aus Edathys Mund klingt die eigene Geschichte nach einer politischen Intrige – als hätte sie nicht auch eine sehr persönliche Dimension. Doch es ist eine Geschichte von Ungereimtheiten und Ungeheuerlichkeiten. Reue zeigt er nur insofern, als er bedauert, „viele Menschen enttäuscht“ zu haben. Kein Wort über die wahren Opfer: die für perverse Illustrationen missbrauchten Kinder, die sich unter Umständen auf dem Bildmaterial befinden, wegen dem er angeklagt ist. Es dauert lange, bis er ein Fehlverhalten einräumt. Es sei „sicherlich moralisch nicht in Ordnung“ gewesen, was er getan habe, sagt er dann. Später wird er hinzufügen, solche Eingeständnisse seien „etwas, was mir nicht besonders leichtfällt“. Er klingt dabei keineswegs zerknirscht.

Hier vor der blauen Wand kann er ohnehin sagen, was er will. Es muss nicht einmal die Wahrheit sein. Es ist in jedem Fall eine Fabel – seine Fabel. Später wird er vorsichtiger sein müssen. Nebenan im Saal 3101 hoch über der Spree, wo der Untersuchungsausschuss tagt. Jedes unwahre Wort kann ihm dort als „uneidliche Falschaussage“ angelastet werden.

Oppermann soll der eigentliche Bösewicht werden

Der mediengerechte Auftritt vor dem Pflichttermin im Kreis der ehemaligen Abgeordnetenkollegen ist die aktuellste Pointe einer politischen Schmierenkomödie, deren Prolog mehr als ein Jahr zurückliegt. Er wird ihm als Mangel an Respekt vor dem Parlament ausgelegt. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert äußert sich in diesem Sinne. Für die SPD ist das Ganze so oder so ein Desaster. Das Drehbuch zu dieser Inszenierung ist in der aktuellen Ausgabe des „Sterns“ nachzulesen – jedenfalls die Lesart Edathys. Wesentliche Fakten blendet er freilich aus.

Über die Details der Anklage redet er nicht. Das ist sein gutes Recht. Dafür verbreitet er sich ausschweifend über anrüchige Videos, die vor Gericht keine Rolle mehr spielen werden. Das ist der harmlosere Teil des Beweismaterials, der sich in seinem Besitz befunden haben soll. Allein darauf beziehen sich seine Schutzbehauptungen. Solche Filme zu bestellen sei „sicherlich falsch“ gewesen, „aber legal“. In solchen Momenten wird er fast kokett: Er stelle sich die Frage, „ob Sexualität immer auch verbunden sein muss mit Hysterie“.

Aber darum geht es gar nicht bei dem unwürdigen Comeback im Bundestag. Worum sich der Untersuchungsausschuss zu kümmern hat, ist in der Bundestags-Drucksache Nummer 18/1475 umständlich formuliert. Dort ist ihm aufgetragen zu klären, „ob und gegebenenfalls wann und durch wen der damalige Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy aufgrund des Informationshandelns bzw. der Datenweitergabe der Bundesregierung oder einzelner ihrer Mitglieder sowie möglicher Datenweitergaben an Dritte von den Ermittlungen und einzelnen Ermittlungsschritten der Staatsanwaltschaft erfahren hat“.

Von Loyalität ist nichts mehr zu spüren

Edathys Antwort ist unmissverständlich. Sie lässt sich auf drei Namen verkürzen: Michael Hartmann, Jörg Ziercke und Oppermann. Von Hartmann, einem Genossen und Konkurrenten aus der Fraktion, sei er über die Ermittlungen frühzeitig informiert worden. Der wiederum habe seine Kenntnisse von Ziercke bezogen, dem damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamtes. Oppermann schildert er als zentrale Figur der angeblichen Indiskretionen, die in der SPD rasch die Runde machten. Edathy erzählt, er habe sich stets unterrichtet gefühlt, wo sich seine Akten gerade befanden. Oppermann erscheint in seinen Aussagen als ruchlose Gestalt. Von Loyalität ist nichts mehr zu spüren. Der Fraktionschef soll sich vor einem Jahr bei Hartmann erkundigt haben: „Falls sich Sebastian umbringt, wie positionieren wir uns gegenüber den Medien?“ Er selbst bestreitet das. Edathy äußert sich abfällig über seinen ehemaligen Vorgesetzten: „Die Reinigungskraft im Hause Oppermann war wohl die letzte Person, die nicht informiert war.“

Hartmann und Edathy können sich kaum aus dem Wege gehen an diesem Nachmittag. Sie sind beide als Zeugen geladen. Hartmann wird Edathy in jedem Punkt widersprechen.

Und es gibt noch mehr Begegnungen der vorbelasteten Art: Eva Högl leitet den Untersuchungsausschuss, der die politischen Aspekte der Edathy-Affäre aufklären soll. Sie sitzt da, wo einst Edathys Platz war. Sie spricht die Floskeln, mit der er einst Zeugen einschüchterte. Nun gelten die Ermahnungen ihm: Er müsse hier die Wahrheit sagen. Sie hat ihn, wie es im Gesetz heißt, „über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren“. Auf dem Zeugentisch vor Edathys Stuhl liegt eine Exemplar der neuesten Ausgabe des Magazins „Stern“, als handle sich um eine offizielle Akte. Im Protokoll wird später auch nicht viel mehr stehen als in der Illustrierten.

Der Autritt ist ein großes Schauspiel

Einst war Högl eine der engsten Mitstreiterinnen Edathys. Sie saß an seiner Seite in dem Ausschuss, der das Behördenversagen während der NSU-Mordserie ausleuchten sollte. Nun hat sie Edathys Versagen auszuleuchten – unter Umständen auch das führender Genossen. Ob sie sich denn nicht befangen fühle, wird die Sozialdemokratin im Vorfeld gefragt. Ihre Antwort klingt unfreiwillig zweideutig: „Es wäre jeder SPD-Kollege befangen gewesen.“ Ihre eigene Geschichte mit Edathy, die besonderen Interessen als Genossin, die Risiken ihrer Führungsriege im Hinterkopf – trotzig versichert Högl: „Ich glaube, dass ich das trennen kann.“

Kenner der Affäre hatten damit gerechnet, dass Sebastian Edathy „dramaturgisch noch Potenzial“ bietet, zum Beispiel Armin Schuster, der für die CDU im Untersuchungsausschuss sitzt. Diese Spekulation bestätigt sich. Edathys Auftritt ist ein großes Schauspiel. Vor seiner Zeugenaussage lässt Edathy die Vorsitzende Högl und den Rest des Ausschusses spüren, wer hier das Heft in der Hand hat. Bevor er auch nur eine Frage beantwortet, will er eine „eidesstattliche Versicherung“ kopieren und an die Abgeordneten verteilen lassen. Dazu ein Verzeichnis der SMS-Nachrichten, auf die sich seine Aussage stützt. Es klingt so, als wolle er sich auf diese Weise unnötige Ausführungen ersparen. Högl schlägt vor, die Sitzung dafür eine Stunde lang zu unterbrechen, noch bevor sie richtig begonnen hat. Edathy nennt das einen „klugen Vorschlag“. In dem Kompliment schwingt eine andere Botschaft mit: Er will gleich zu Beginn klarstellen, wer hier Koch und wer Kellnerin ist. Berlin -