Der deutsche Marktführer im Lebensmitteleinzelhandel möchte sein Filialnetz ausbauen. Doch das Kartellamt könnte der Kauf von 450 Filialen des kleinen Konkurrenten noch verhindern. Das wäre schon einmal fast passiert.

Stuttgart - Deutlicher kann eine Kapitulation kaum formuliert sein: „Wir sehen leider keine Perspektive mehr, unsere Supermärkte aus eigener Kraft zu einem profitablen Unternehmen zu machen“, erklärte Karl-Erivan W. Haub, der Chef der Unternehmensgruppe Tengelmann, am Dienstag in einer Mitteilung. „Zu erkennen, dass der Verkauf unseres Supermarktunternehmens letztlich unausweichlich wurde, war für meine Familie und mich persönlich sehr schwer“, sagte Haub. Der Marktanteil der Supermarkt-Tocher Kaiser’s Tengelmann sei mit 0,6 Prozent zu gering, um am Markt bestehen zu können. Daher habe sich das Mühlheimer Handelshaus entschlossen, aus dem seit 15 Jahren defizitären Geschäftsfeld auszusteigen. Zuletzt erwirtschafteten die dazugehörigen 450 Supermarkt-Filialen einen Jahresumsatz von rund 1,8 Milliarden Euro.

 

Nun sollen die Läden, die sich vor allem in den Metropolregionen Berlin und München sowie in Nordrhein-Westfalen befinden, zum 30. Juni 2015 an den Edeka-Verbund abgegeben werden. Zu dieser von Hamburg aus gesteuerten Gruppe gehören mehr als 6000 von selbstständigen Kaufleuten betriebenen Edeka-Filialen, etwa 4000 Läden des Lebensmitteldiscounters Netto sowie kleinere Supermarkt- und Discountmarken wie Diska und Comet. Im vergangenen Jahr setzte Edeka 46,2 Milliarden Euro um. Die Gruppe mit 11 600 Märkten und 328 000 Mitarbeitern dominiert den deutschen Lebenseinzelhandel vor Konkurrenten wie Rewe, Lidl oder Aldi.

Geschäfte und Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben

Zum Kaufpreis und über weitere Vertragsinhalte wollten sich beide Seiten am Dienstag nicht äußern. Nur so viel: Die Läden und die Arbeitsplätze der betroffenen rund 16 000 Tengelmann-Mitarbeiter sollen erhalten bleiben, sagte ein Edeka-Sprecher. Ziel sei es, die Standorte nach und nach an selbstständige Kaufleute zu übergeben. „Dadurch ermöglichen wir vielen, vor allem jungen Menschen – auch insbesondere den Filialleitern und Filialleiterinnen von Kaiser’s Tengelmann – die Chance auf Selbstständigkeit unter dem genossenschaftlichen Dach von Edeka“, teilte Edeka-Vorstandschef Markus Mosa mit. Die Konzentration von Edeka-Märkten in den betroffenen Regionen würde nicht signifikant zunehmen, so Mosa.

Doch eben jener Ausbau der Marktmacht von Edeka könnte das Geschäft noch platzen lassen. Denn das Bundeskartellamt muss die Übernahme genehmigen. Behördenchef Andreas Mundt deutete in einer ersten Stellungnahme an, dass die Genehmigung kein Selbstläufer wird: „Nach unseren Marktkenntnissen aus früheren Verfahren und nach den Ergebnissen der aktuellen Sektoruntersuchung zur Nachfragemacht des Lebensmitteleinzelhandels ist schon die jetzige Konzentration ein Problem.“ Jede weitere Konzentration werfe schwierige wettbewerbsrechtliche Fragen auf. „Natürlich werden wir das konkrete Vorhaben intensiv prüfen“, sagte der Kartellamtspräsident mit Blick auf die geplante Übernahme.

Die Behörde hatte schon den Zusammenschluss der früheren Tengelmann-Tochter Plus mit der Edeka-Tochter Netto fast verhindert. Die Fusion der beiden Marken zur Nummer drei im Discountermarkt nach den Platzhirschen Aldi und Lidl (Schwarz Gruppe) war 2008 erst nach einer mehrmonatigen Hängepartie und unter strengen Auflagen genehmigt worden. Den Muttergesellschaften war damals unter anderem die Bildung eines gemeinsamen Einkaufsverbunds untersagt worden.

Platzt der Verkauf, droht ein harter Sparkurs

„Wieso soll etwas heute gelingen, was vor sechs Jahren schon einmal nicht gelungen ist?“, fragt Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Der Handelsexperte zeigt sich überrascht vom angekündigten Tengelmann-Verkauf. Einer Übernahme durch die deutlich kleinere Rewe-Gruppe hätte Roeb höhere Chancen eingeräumt, die kartellrechtliche Prüfung zu bestehen. Spürbare Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise erwartet der 50-Jährige aber auch im Falle der Genehmigung des Deals nicht. Dafür sei Kaiser’s Tengelmann zu klein. Eine Alternative zum Verkauf wäre Roeb zufolge ein harter Sparkurs mit Schließungen und Entlassungen gewesen.

Zum Verkaufspaket gehören neben den Supermärkten die Online-Tochter Tengelmann E-Stores mit den Plattformen Plus.de und GartenXXL.de sowie die Töchter Bringmeister (Lieferservice), Birkenhof (Metzgerei) und Ligneus (Inneneinrichtung, Ladenbau). Bei Tengelmann verbleiben die Mehrheit an der Baumarktkette Obi sowie der Textildiscounter Kik. Beide sind schon jetzt Hauptumsatzbringer des einstigen Lebensmittelkonzerns, der 2013 mit knapp 73 000 Beschäftigten einen Umsatz von 7,8 Milliarden Euro erwirtschaftet hat. Die Gruppe ist zudem auf Geschäftsfeldern wie Sicherheitstechnik, Versicherungen, Energie und Immobilienverwaltung aktiv.

Handelsunternehmen mit Geschichte

Ursprung Im Jahr 1893 wurde die erste Tengelmann Filiale in Düsseldorf eröffnet. Ihr Vorläufer war ein 1867 von Wilhelm Schmitz-Scholl betriebener Kolonialwarenladen. Namensgeber der Firma „Kaffee-Import-Geschäft Emil Tengelmann“ war der damalige Prokurist des Unternehmens. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs wuchs das Tengelmann-Filialnetz auf rund 560 Läden an.

Geschäftsfelder
Der erste Tengelmann-Selbstbedienungs-Supermarkt wurde 1953 in der Münchener Leopoldstraße eröffnet. 1968 überstieg der Umsatz der Handelskette erstmals eine Milliarde D-Mark. 1971 übernahm Tengelmann die Kaiser’s Kaffee-Geschäft AG aus Viersen. 1972 startete der Lebensmitteldiscounter Plus und 1994 der Textildiscounter Kik unter dem Tengelman-Dach. Die Gruppe besitzt seit 1985 die Mehrheit an den Obi-Heimwerkermärkten und ist heute auch mit fünf Prozent am Börsenneuling Zalando beteiligt.