Hunderte Menschen krank, 53 tot: Die Ehec-Krise hat Deutschland 2011 schwer getroffen - auch weil es beim Krisenmanagement von Bund und Ländern haperte.

Stuttgart - Eurokrise, Fukushima, Guttenberg-Abgang, Christian Wulffs Hauskredit: das Jahr 2011 war so turbulent, dass so manche Ereignisse fast in Vergessenheit geraten sind. Dazu zählen auch die beiden Lebensmittelkrisen, die es 2011 gab. Waren es zu Jahresbeginn die Dioxinfunde in Eiern, die die Verbraucher verunsicherten, spielte sich im Frühsommer mit der Ehec-Epidemie eine viel gravierendere Krise ab: Hunderte Bürger erkrankten, 53 starben an Darmkrankheiten, die durch die Ehec-Bakterien verursacht worden waren.

 

Dass es der für Seuchenabwehr zuständigen Behörde, dem Robert-Koch-Institut (RKI), gelang, die Ursache des Ausbruchs zu ermitteln, ist zweifellos ein Erfolg. Denn bei den meisten Ehec-Fällen, die es in den vergangenen Jahren weltweit gab, ließ sich nicht klären, wie die Bakterien in die Lebensmittelkette gelangten. Während die wissenschaftliche Arbeit gut klappte, haperte es aber im Krisenmanagement von Bund und Ländern gewaltig.

Zwar einigten sie sich im Mai darauf, dass Verdachtsfälle auf Ehec rasch an das RKI gemeldet werden mussten. Diese pragmatische Ad-hoc-Lösung änderte aber zunächst nichts an der Rechtslage. Obwohl Konrad Zuse schon 1941 den ersten Computer erfunden hatte, durfte die Übermittlung meldepflichtiger Krankheiten an das RKI bis zu 16 Tage dauern. Das Bundeskabinett hat im August diese Frist nun auf drei Tage gesenkt. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) strebt gleichwohl an, dass die Übermittlung künftig tagesaktuell stattfindet. Ob und wie dies technisch möglich ist, soll nun eine Studie klären, die Bahr bis Ende 2012 abgeschlossen haben will.

Verbraucher wurden verunsichert

Fest steht schon heute, dass die prompte Meldung an das RKI nur dann klappt, wenn die Länder diesem Verfahren zustimmen. Mit den Ländern wird sich auch Ilse Aigner, die für Verbraucherschutz zuständige Bundesministerin, auseinandersetzen müssen. Schon im Zuge der Dioxinkrise hatte die CSU-Politikerin den Bundesrechnungshof gebeten, ein Gutachten zur "Organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes" zu erstellen. Dieses liegt nun vor. Und es stellt Bund und Ländern ein miserables Zeugnis aus.

Zwar hätten sie nach dem Ehec-Ausbruch ein gemeinsames Lagezentrum eingerichtet. Was Warnungen vor dem Verzehr von Lebensmitteln anbelangt, habe allerdings ein Wirrwarr bestanden, der die Verbraucher verunsicherte. Dass es unterschiedliche Aussagen gab, beweist der Fall der spanischen Gemüsegurken. Die hatte die Hamburger Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) Ende Mai als Ehec-Quelle ausgemacht.

Während sich Aigner mit einer Bewertung zurückhielt (Lebensmittelkontrollen und Lebensmittelwarnungen sind eben allein Sache der Länder), brach der Gurkenabsatz drastisch ein. Russland verhängte gar einen Importstopp für jedwedes Gemüse aus der EU. Dabei waren die spanischen Gurken gar nicht die Ehec-Quelle. Der Erzeuger der damals zu Unrecht verdächtigten Gurken, die spanische Firma Frunet, hat deshalb die Stadt Hamburg inzwischen auf 2,3 Millionen Euro Schadenersatz verklagt.

Bund soll mehr Kompetenzen besitzen

Aus Sicht des Bundesrechnungshofs belegen der Dioxin- wie der Ehec-Fall "systemimanente Schwächen des deutschen Krisenmanagements" bei Lebensmittelkrisen. Für operative Maßnahmen (Kontrollen von Waren, Verbote von Waren, Information der Bürger) seien allein die Länder zuständig, während der Bund keine "Handlungsbefugnisse" habe. Damit der Staat ein besseres Management an den Tag legen könne, müsse es deshalb einen nationalen Krisenstab geben.

Er soll, so der Rechnungshof, alle nötigen operativen Kompetenzen besitzen, zudem das Recht haben, die Länder an seine Entscheidungen zu binden und die Öffentlichkeit zentral zu informieren. Rechnungshof-Präsident Dieter Engels schlägt in seinem Gutachten vor, dass der Bund diesen Krisenstab leitet und mit einer Stimme gegenüber der Bevölkerung Auskunft erteilt.

Weil Engels' Vorstoß die Aufgabenverteilung der staatlichen Ebenen neu regelt, wird Aigner alle Mühe haben, ihre Länderkollegen dafür zu gewinnen. Zunächst soll eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Ländern das Gutachten auswerten. Damit es zu Ergebnissen kommt, bedarf es allerdings des Drucks der Öffentlichkeit. Der wiederum ist wenig wahrscheinlich, weil Dioxin- und Ehec-Krise schon weitgehend in Vergessenheit geraten sind.

Gut möglich, dass der Bericht das gleiche Schicksal erleidet wie sein Vorgänger. Schon nach den BSE-Fällen des Jahres 2000 hatte der Rechnungshof ein abgestimmtes Krisenhandeln sowie vorab festgelegte Strukturen für das Management verlangt. "Die Umsetzung dieser Kernforderung", so schreibt Engels mehr als zehn Jahre später, "steht nach wie vor aus."