Die Initiative Lern- und Gedenkort hat ein Konzept für das Hotel Silber vorgelegt – und sieht Stadt und Land nun in der Pflicht.

Stuttgart - Heinz Hoegerle, der sich seit Jahren mit vielen anderen ehrenamtlich um die ehemalige Synagoge in Rexingen bei Horb kümmert, hat Angst: "Wir begrüßen ausdrücklich die Initiative, aus dem Hotel Silber an der Dorotheenstraße einen Lern- und Gedenkort zu machen - aber wir fürchten, dass die wenigen Zuschüsse des Landes, die wir für unsere Gedenkstätten bekommen, bald ausschließlich nach Stuttgart fließen." Was Hoegerle am Donnerstagabend im Großen Sitzungssaal des Rathauses dann sagte, ließ viele aufhorchen: "Sie müssen bedenken, dass wir für sechzig Gedenkstätten an die jüdischen Opfer der NS-Zeit im ganzen Land pro Jahr sage und schreibe 75.000 Euro Zuschuss vom Land bekommen - das ist skandalös."

 

Rund 150 engagierte und interessierte Bürger waren auf Einladung der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber ins Rathaus gekommen, um zu erfahren, was aus der ehemaligen Gestapozentrale für Württemberg-Hohenzollern einmal werden soll. Harald Stingele, einer der Sprecher der Initiative, sagte es so: "Es ist erfreulich, dass unsere Beharrlichkeit diesen Erfolg hatte. Seit der Landtagswahl am 27. März steht fest, dass das Hotel Silber nicht abgerissen wird - die neue Landesregierung hat das entschieden." Jetzt stelle sich die Frage, wie es mit dem Gebäude weitergehe.

Haus soll ein Ort der Begegnung werden

Harald Stingele und seine Mitstreiter haben dazu jetzt ein konkretes Konzept vorgelegt: "Nach dem Beispiel der Topografie des Terrors in Berlin sollen Land und Stadt Stuttgart eine gemeinsame Stiftung gründen und das Hotel Silber einbringen." In dem Gebäude müsse es "um Erinnern und Gedenken, um Lernen und Forschen gehen", so das Konzept. Das Haus müsse "ein Ort der Begegnung werden zwischen den Nachfahren der Opfer und der Täter" - schließlich seien die Gebäude am Karlsplatz, während der Nazizeit Sitz der Gestapo und des Innenministeriums, "nicht nur Orte der Opfer gewesen, sondern vor allem auch der Täter". Dies müsse in der Bildungsarbeit für die Schulen und alle interessierten Bürger im Mittelpunkt stehen. Nach Stingeles Ansicht sind "noch viele Facetten der NS-Zeit unerforscht, etwa die Verfolgung der Homosexuellen - übrigens bis weit hinein in die Zeit der neuen Bundesrepublik". Und: vieles, was bereits erforscht sei, schlummere in den Archiven - es müsse "endlich der Bevölkerung bekanntgemacht werden".

Vier Kommunal- und Landespolitiker saßen am Donnerstagabend im Ratssaal auf dem Podium, um erste Bewertungen über das neue Konzept der Initiative abzugeben. Brigitte Lösch von den Grünen, die neue Landtagsvizepräsidentin, appellierte an die Initiative: "Bleiben Sie hartnäckig, wir stehen erst am Beginn eines Prozesses." Ihrer Ansicht nach sei "die stufenweise Nutzung des Hotels Silber der realistische Weg"; man müsse dabei "ja nicht alle Forderungen der Initiative eins zu eins übernehmen". Verteilungskämpfe zwischen den Gedenkstätten um die Zuschüsse des Landes dürfe es nicht geben.

Stimmen aus der Politik

Zunächst, so teilte Lösch mit, werde das Hotel Silber wohl weiterhin auch als Bürogebäude für Landesministerien genutzt werden. Die Stadt und der Gemeinderat, so ihre Forderung, müssten "jetzt rasch in die Puschen kommen und entscheiden, dass sie sich an diesem Projekt beteiligen".

Löschs Parteifreund Michael Kienzle, der kulturpolitische Sprecher der grünen Ratsfraktion in Stuttgart, sagte: "Meiner Ansicht nach ist eine Stiftung ein starres Instrument." Er wünsche sich, dass das Hotel Silber "quasi ein Knoten im großen Netz der Gedenkstätten werde - auch mit Verbindungen zum geplanten Stadtmuseum im Wilhelmspalais". Monika Wüst, die Kultursprecherin der SPD im Rathaus, sagte: "Wir wollen das Hotel Silber nicht allein dem Haus der Geschichte überlassen." Deshalb habe man beantragt, dass Thomas Schnabel, der Leiter des Hauses, demnächst im Finanzausschuss des Rates über den Stand der Vorarbeiten berichte.

Schuster will Dialog über Zukunft des Gebäudes

Gegenüber der Stuttgarter Zeitung erklärte Schnabel am Freitag auf Anfrage: "Ich hatte zu der Veranstaltung im Rathaus leider keine Einladung. Dessen ungeachtet, muss zunächst einmal die Zuständigkeit geklärt werden: Das Hotel Silber gehört dem Land - ob die Stadt sich daran beteiligt, muss die Politik entscheiden." Zwei seiner Mitarbeiter seien dabei, die geplante Gedenkstätte inhaltlich vorzubereiten. In dieses Konzept wolle man auch die Stuttgarter Initiative einbinden, ihr Räumlichkeiten im Gebäude zur Verfügung stellen. Wörtlich sagte Schnabel: "Ob eine Stiftung oder eine andere Konstruktion - letztlich geht es immer um Zuschüsse, über deren Höhe die Politik zu befinden hat."

Apropos Politik. Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) hat jetzt in einem Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) um "einen Dialog über die Zukunft des Hotels Silber" gebeten. Die Antwort auf die oft gestellte Frage, "wie geht es weiter mit dem Hotel Silber?", liege auch ihm am Herzen. Mit Rücksicht auf die Abstimmungsprozesse der neuen Landesregierung, so Schuster, habe er bis dato auf weitere Sitzungen des städtischen Beirats zur Vermittlung der NS-Geschichte in Stuttgart verzichtet. Es sei "im gemeinsamen Interesse von Land und Stadt, dass die Landesregierung eine Entscheidung treffe über das Gebäude sowie über das Konzept für einen Lern- und Gedenkort", so der OB. Gleiches gelte für die gesamte städtebauliche Neuordnung am Karlsplatz.

Die Forderungen der Initiative

Geschichte: Im Jahr 2009 haben sich die ersten Gruppen, Bündnisse und Vereine zur Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber zusammengeschlossen. Heute sind es 23, darunter die Anstifter, die Stolpersteine, der Stadtjugendring, das Mauthausenkomitee sowie der verband der Sinti und Roma.

Eckpunkte: Die Initiative, vertreten durch Elke Banabak und Jupp Klegraf, fordert unter anderem: "Als Träger des Hotels Silber bietet sich eine von Land und Stadt gemeinsam zu gründende öffentlich-rechtliche Stiftung an. Die bürgerschaftlichen Organisationen werden sich am Aufbau dieser Stiftung beteiligen und sollen in den Stiftungsorganen vertreten sein."

Zeitplan: Die Initiative erwartet noch in diesem Herbst politische Gespräche zwischen Stadt und Land, in die sie selbst, aber auch die Verbände der in der NS-Zeit verfolgten Menschen und Gruppen einbezogen werden. Außerdem erwartet man entsprechende Zielbeschlüsse des Landtags und des Gemeinderats sowie das Einstellen von ersten Geldern in die Haushalte.

Beiräte: Der städtische Beirat für die Vermittlung der NS-Geschichte mit seinen 27 Mitgliedern soll nach dem Willen der Initiative aufgelöst und durch eine neue Fachkommission ersetzt werden, in der Stadt und Land vertreten sind. Das Haus der Geschichte soll offenlegen, wie weit seine Vorarbeiten für das Hotel Silber gediehen sind. Informationen gibt's im Internet unter www.hotel-silber.de.