Kommt es doch noch zu einem Prozess gegen den mutmaßlichen SS-Wachmann von Auschwitz? Ein Gericht hatte bereits eine Verhandlung abgelehnt, weil der 94-Jährige dement sein soll. Die Angehörigen der Opfer wollen das nicht hinnehmen.

Kommt es doch noch zu einem Prozess gegen den mutmaßlichen SS-Wachmann von Auschwitz? Ein Gericht hatte bereits eine Verhandlung abgelehnt, weil der 94-Jährige dement sein soll. Die Angehörigen der Opfer wollen das nicht hinnehmen.

 

Stuttgart - Gegen den früheren mutmaßlichen SS-Wachmann des KZ Auschwitz, Hans Lipschis, könnte es doch noch zu einem Prozess kommen. Acht Angehörige von Opfern gehen nun gegen eine Entscheidung des Landgerichts Ellwangen vor, das einen Prozess gegen den 94-Jährigen wegen Verhandlungsunfähigkeit ablehnt hatte. Sie hätten dagegen Beschwerde eingelegt, sagte ein Gerichtssprecher in Ellwangen. Die Stuttgarter Anklagebehörde selber akzeptiert die Entscheidung des Landgerichts, wie Staatsanwalt Ralf Dietrich am Mittwoch erklärte. Über die Beschwerde muss nun das Oberlandesgericht Stuttgart entscheiden.

Der gebürtige Litauer war Anfang Dezember wegen Demenz aus der Untersuchungshaft entlassen worden. „Wenn der Gesundheitszustand sich ändert, muss man die Sichtweise anpassen“, sagte Dietrich.

Zwischen 1941 bis 1943 Wachmann in Auschwitz

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft wirft Lipschis Beihilfe zum Mord vor. Er soll zwischen 1941 und 1943 Wachbereitschaft im Konzentrationslager Auschwitz gehabt haben. Durch seine Tätigkeit habe er den Lagerbetrieb und damit die Vernichtungsaktionen unterstützt. Während seiner Wachzeit seien in Auschwitz zwölf Transporte mit Tausenden Gefangenen eingetroffen. In vielen Fällen seien nicht arbeitsfähige Menschen sofort aussortiert und in den Gaskammern getötet worden.

Ellwangen hatte auch auf die allgemein geltende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwiesen. Danach ist für eine Verurteilung ein Nachweis über die „individuelle Schuld“ nötig. Die bloße Tätigkeit als Wachmann in einem Konzentrationslager reiche nicht aus. Während der Bereitschaft von Lipschis seien Menschen getötet worden, sagte der Leiter der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Siegfried Mahler. Das reiche für den Nachweis der individuellen Schuld aus.

Bei den Ermittlungen gegen den mutmaßlichen NS-Täter ging die Staatsanwaltschaft neue Wege. So wurde das Konzentrationslager Auschwitz mit Hilfe moderner Technik visualisiert. „Viele Wachleute haben behauptet, wir haben nichts gesehen. Für den Fall der Fälle holen wir den Tatort in den Gerichtssaal“, sagte Ankläger Dietrich. In der Animation könne man sich wie „in einer Art Computerspiel“ frei bewegen.

In Auschwitz, dem größten der nationalsozialistischen Todeslager, wurden mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge ermordet. „Auschwitz ist das Sinnbild des Holocaust“, sagte der Staatsanwalt. Der Zeitdruck bei NS-Ermittlungen sei aufgrund des hohen Alters der Beschuldigten immens. In Stuttgart wird aktuell gegen sechs weitere mutmaßliche Wachmänner des Lagers ermittelt. Die Verfahren seien im Anfangsstadium. Einzelheiten wollte Dietrich zu den neuen Fällen nicht nennen.