In einem Alter, in dem andere in ihrem Beruf so richtig durchstarten, stehen Tänzer häufig vor dem Aus: Nach langer Ausbildung und einer kurzen Bühnenkarriere müssen sie sich neu orientieren. Ehemalige Tänzer des Stuttgarter Balletts berichten aus ihrem zweiten Leben – heute: Jean Christophe Blavier.

Stuttgart - Der Ausstieg aus der Tanzkarriere war hart für Jean Christophe Blavier. Als Filmemacher und Gartengestalter hat er eine neue Berufung gefunden.

 

Vieles im Leben lässt sich nicht planen, vorhersehen schon gar nicht. So beginnt auch die außergewöhnliche Karriere des ehemaligen Tänzers Jean Christophe Blavier; bestimmt von unabsehbaren Wendungen, schmerzhaften Umbrüchen und glücklichen Zufällen.

Blavier stammt aus einer gut situierten Pariser Familie. In den Siebzigern steigen die Eltern auf der Suche nach einer alternativen Lebensform aus dem geregelten Leben aus und ziehen mit den Kindern aufs Land. In der Provence lebt die Familie in einer Hippiegemeinschaft und verkauft auf Märkten in der Gegend Second-Hand-Mode. Als sich die Eltern trennen, bleibt der Sohn mit dem Vater und einer Ziege allein im Haus zurück. Doch dann trifft Jean Christophe Blavier eine frühere Tänzerin aus der Kompanie Maurice Béjarts, dem berühmten Neuerer der Neoklassik. In dieser ersten Phase des Umbruchs eröffnet die Tanzlehrerin dem Jungen eine neue Perspektive. Sie fördert dessen Talent und schickt ihn zum Studium nach Marseille. Mit gerade einmal dreizehn Jahren zieht der Teenager in seine erste eigene Wohnung und lässt sich zum Profitänzer ausbilden.

Auf dem Sprung in die Selbstständigkeit

Für einen Außenstehenden klingt das hart, doch Herr Blavier winkt ab. „Ich war sehr selbstständig, hart war es für mich nicht. Es war wie eine Erleuchtung. Mir war klar, wenn ich jetzt die Chance ergreife, schließt sich für mich so eine Art goldener Kreis. Auf einmal habe ich mein Leben selbst in die Hand genommen.“ Nun meistert Blavier den Sprung vom Landleben in der Provence an die Ballettschule der Opéra Marseille, weiter über die Académie Internationale de la Danse in Paris bis hin zum Stuttgarter Ballett. Von 1980 an tanzt er unter der Direktion von Marcia Haydée im Ensemble, zehn Jahre später avanciert er zum Ersten Solotänzer.

Dass danach etwas anderes kommen würde, war ihm damals schon bewusst, dennoch traf ihn der Abschied mit Wucht. „Für alle Tänzer ist das ein sehr schmerzhafter Moment“, findet er. Vielleicht auch, weil es eine Vorbereitung auf den Ausstieg nicht gab. Noch während seiner Zeit als Tänzer beginnt er, sich für das Filmemachen zu interessieren. Ein Glück, wie sich später herausstellt. Marcia Haydée, Blaviers Mentorin, mit der er auch eine langjährige Liebesbeziehung führte, gestattet ihm, die Arbeit des Ensembles mit der Kamera zu begleiten. „Ich habe das Filmen für mich entdeckt und Marcia hat mich unterstützt. Aber es war auch gut für sie, immer. Da ist die Marcia ganz clever“, schmunzelt er.

Mit Anfang Dreißig denkt Jean Christophe Blavier ernsthaft ans Aufhören. Nur die physische Seite nimmt er nicht ernst genug. Von einem Tag auf den anderen sagt er sämtliche Trainingseinheiten und Proben ab, als Folge stellt sich ein Tinnitus ein. Er rappelt sich wieder auf, gründet seine eigene Filmproduktionsfirma „Moving Angels“ und beginnt zu choreografieren. Doch auch dort stößt er an die eigenen Grenzen. „Ich bin dickköpfig und habe mich selbst zu oft aufgerieben. Ich war einerseits akzeptiert, andererseits habe ich mich mit anderen Menschen verbrannt, mit Tänzern, mit der Tanzwelt überhaupt“.

Griff nach den Sternen für Gärten wie Bühnenbilder

Also vollzieht er einen zweiten harten Schnitt und gibt die Choreografie wieder auf. Zusätzlich zu seiner Arbeit als Filmemacher entwickelt er eine weitere Geschäftsidee. Acht Jahre lang schafft er auf Honorarbasis in einer Gartenbau-Firma, lernt das Handwerk, bis er sagt: „Jetzt kann ich es.“ Und obwohl Welten zwischen der Arbeit des Tänzers und der des Gartenbauers zu liegen scheinen, profitiert Blavier von seinen bisherigen Erfahrungen. „Tänzer haben die Fähigkeit, sich langjährig auf eine Sache zu fokussieren, sich dabei immer weiter zu entwickeln, nach den Sternen zu greifen. Man braucht dazu eine Lebensphilosophie, aber auch Talent und ein realistisches Ziel. Nicht jeder kann das,“ sagt er mit leisem Stolz in der Stimme.

Auch, wenn ihn diese Arbeit nicht reich macht, sichert sie seine Existenz, gibt ihm die Möglichkeit, auf einem anderen Gebiet kreativ zu sein. Die Freude und Zufriedenheit, es als Unternehmer mit eigenem Betrieb geschafft zu haben, ist ihm anzusehen. „Ich verkaufe Gartenideen wie Bühnenbilder. Früher habe ich mich Gartenbildner genannt; eine Marketing-Idee“, sagt er und schmunzelt wieder ein bisschen.

Doch ganz kommt er von der Faszination Tanz nicht los:Das gute Gefühl, sich körperlich verausgaben zu können, zu schwitzen, braucht er bis heute. Außerdem stiften er und seine Frau Birgit Baumgärtner jedes Jahr den „Moving Angels Video-Tanzpreis“ beim Solo-Tanztheaterfestival im Treffpunkt Rotebühlplatz und fördern so junge Talente.

Trotz seiner Erfolge wirkt Jean Christophe Blavier nachdenklich und sehr reflektiert. „Als Tänzer ist man ein Mönch, kein Mensch. Der Tänzer muss sich als Mensch wieder finden, das ist das schwierige.“ Die wichtigste Eigenschaft auf diesem Weg? – Neugier!