Er kam, sah – und siegte recht schnell: Benjamin Pavard hat sich beim FC Bayern München als Stammspieler etabliert. Der Neuzugang, der vom VfB Stuttgart kam, steht vor dem Gewinn der Meisterschaft – aus guten Gründen.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart/München - Marc Kienle hat den Benjamin Pavard von vor knapp vier Jahren noch genau vor Augen. Wie das so üblich ist in der Szene der Spielerbeobachter, hatte er sich mithilfe von Video-Ausschnitten ein Bild gemacht von diesem jungen Abwehrmann aus der französischen U-21-Nationalelf, dann folgte die Reise nach Frankreich. Kienle, damals als Sportkoordinator des VfB Stuttgart mit für die Kaderplanung verantwortlich, fuhr am Trainingsplatz des Erstligisten OSC Lille vor – und sah beim damals 19-jährigen Benjamin Pavard das, was ihm später auch bei seinen Spielbeobachtungen auffiel: „Benji hatte einen sehr guten ersten Kontakt am Ball, er hatte allgemein eine starke Ballbehandlung und immer den Blick für den Mitspieler.“ Und weiter: „Benji bewegte sich immer sehr geschmeidig, fast schon grazil. Er hatte eine starke Spieleröffnung.“

 

Nun, knapp vier Jahre später hat sich viel getan. Die Stärken Pavards sind geblieben – Marc Kienle aber ist nicht mehr beim VfB. Und Pavard startete durch. Gut, mit dem VfB Stuttgart, der damals fünf Millionen Euro Ablöse für die Nachwuchshoffnung zahlte, gab es für Pavard nach dem Erstliga-Aufstieg in seiner ersten Saison 2016/17 zwei Jahre später den bitteren Abstieg – ansonsten aber ging es in der persönlichen Entwicklung steil nach oben.

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Pavard wurde 2018 als Rechtsverteidiger mit Frankreich Weltmeister und schoss eines der schönsten Tore des Turniers in Russland, seine wunderbare Direktabnahme von der Strafraumgrenze im Achtelfinale gegen Argentinien (4:3) ging um die Welt. Im vergangenen Sommer dann folgte nach dem Abstieg mit dem VfB der Wechsel für 35 Millionen Euro zum FC Bayern München, wo Pavard (24) sich auf der rechten Abwehrseite einen Stammplatz erkämpft hat und nun vor dem Gewinn seiner ersten deutschen Meisterschaft steht.

Zu Beginn gibt es Vorbehalte

Vor dem Topspiel bei Bayer Leverkusen an diesem Samstag (15.30 Uhr) liest sich seine Bilanz in der ersten Saison beim Rekordmeister beeindruckend. Pavard absolvierte bislang alle Champions-League-Spiele und auch alle Partien im DFB-Pokal über 90 Minuten. In der Bundesliga war er in 27 von 29 Begegnungen dabei „Benji ist ein Spieler, der sehr konstant spielt“, sagt sein Trainer Hansi Flick: „Man kann sich immer zu 100 Prozent auf ihn verlassen.“ Seine Übersicht und seine Ruhe machen den Weltmeister längst zu einem der Stützen im Spiel des FC Bayern, obendrein besticht er durch seine Kopfballstärke – in den vier Partien nach der Corona-Pause erzielte Pavard so schon zwei Tore nach Standards.

Wer nun aber glaubt, dass sein Weg in München kerzengerade nach oben ging, der täuscht sich. Der Franzose, das zur Erinnerung, kam im vergangenen Sommer zwar als Weltmeister, aber eben auch als frischgebackener Absteiger nach persönlich missratener Saison vom VfB nach München. Es gab Vorbehalte beim FC Bayern– und eine durchwachsene Anfangszeit.

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So durchlebte Pavard in seinen ersten Wochen beim FC Bayern Höhen und Tiefen, gute Aktionen mischten sich mit teils groben Patzern. Der Neuzugang war lange auf der Suche nach seiner Rolle – und fand sie erst, als Joshua Kimmich von der Rechtsverteidigerposition ins defensive Mittelfeld rückte und er von da an hinten rechts ran durfte. Pavard galt zunächst als Notlösung, nutzte aber seine Chance und eroberte mit grundsoliden Leistungen den Stammplatz, den er bis heute nicht mehr hergab.

Pavard also ist in München wieder auf seiner Weltmeisterposition von 2018 angekommen – und profitiert nach der Ansicht seines einstigen Entdeckers Marc Kienle extrem vom System des FC Bayern. „Benji hatte seine Stärken schon immer am Ball und in der Spieleröffnung“, sagt Kienle, „er spielt sehr elegant – und das kommt in einer Ballbesitzmannschaft wie dem FC Bayern natürlich besonders zum Tragen.“ Ein weiterer Vorzug Pavards sei laut Kienle seine Flexibilität. So ist die Lieblingsposition des Franzosen noch immer die Innenverteidigung, weshalb er bei einer Umstellung auf eine Dreierkette keine Anpassungsschwierigkeiten hat.

Keine Liebe auf den ersten Blick

Die Rechtsverteidigerposition und Pavard, das war ja ohnehin keine Liebe auf den ersten Blick. Denn als er in seiner ersten Saison beim VfB in der zweiten Liga unter dem damaligen Trainer Hannes Wolf hinten rechts ran sollte, da regte sich beim gelernten Innenverteidiger Pavard, vornehm ausgedrückt, Widerstand. Eher schmollend rückte er nach außen und legte – ob Zufall oder nicht – in einem Zweitligaspiel hinten rechts bei Erzgebirge Aue seinen wohl miserabelsten Auftritt der Stuttgarter Zeit hin.

Die Dinge aber fügten sich, Pavards Leistungen wurden besser – und irgendwann durfte er beim VfB dann auch im Abwehrzentrum ran. Stets beobachtet von der Familie, die zu jedem Heimspiel nach Stuttgart reiste. Und stets kritisch begleitet von seinem Vater, der ihn in der Jugend trainiert hatte – und der noch heute der wichtigste Ratgeber für den außerhalb des Platzes eher introvertierten Familienmenschen ist, und das nicht nur fußballerisch. „Ich denke, von meinem Vater habe ich meine Einstellung, mich nie zufriedenzugeben“, sagte Benjamin Pavard dazu kürzlich: „Er hat mir immer Defizite aufgezeigt. Ich wurde so erzogen: Selbstreflexion macht dich stärker.“

Aktuell aber dürfte Pavard beim Blick auf sich selbst eine gewisse Zufriedenheit nicht leugnen können.