Viele Menschen fragen sich: Wie kann man nur fürs Hospiz arbeiten? Eine Stuttgarter Ehrenamtliche gibt Einblicke.

S-Mitte - Wer diese Arbeit leistet, kennt das Stirnrunzeln der anderen. Auch Martina Reinalter (53). Wie kann sie nur Menschen in den Tod begleiten? Diese Frage kennen alle, die sich diesem besonderen Ehrenamt verschrieben haben. Sie wissen um die Furcht der Menschen, sich mit Krankheit oder dem Lebensende auseinanderzusetzen. Im oder fürs Hospiz arbeiten, das können sich die wenigsten Menschen vorstellen. Und wahrscheinlich brauchen so genannte Sterbebegleiter wirklich ein besonderes Caritas-Gen, eine tiefe Menschenliebe.

 

Wie weit diese Liebe bei Martina Reinalter gehen kann, erlebte sie bereits bei ihrer ersten Begleitung. Es war wie eine Nagelprobe, die nur mit innerer Überzeugung und Ruhe zu bestehen ist. „Was will die denn hier“, sagte ein älterer Herr und zeigte voller Ablehnung auf die Ehrenamtliche vom Hospiz Stuttgart. Sie sollte gehen – aber sie blieb. Erst schweigend, dann nach und nach das Vertrauen des schwerkranken Menschen gewinnend. „Am Ende fragte er, wann ich wiederkomme“, erinnert sich Martina Reinalter über ihren Sieg des Herzens.

Antennen auf Empfang

Solche Situationen und viele andere später meisterte sie mit „Natürlichkeit“. „Das lernen wir auch in der Ausbildung. Nicht wir bestimmen den Weg, sondern die Bedürfnisse des Patienten.“ Die Antennen auf Empfang zu haben, auf die innere Stimme zu hören, all das hat die Stuttgarterin auch für ihren beruflichen Werdegang nutzen können. Heute arbeitet die Volkswirtin als Coach, wo sie ebenfalls Menschen in besonderen Situationen begleitet.

Freilich ist die ehrenamtliche Arbeit etwas ganz anderes für sie. Auch die Motive sind meistens anderer Natur. „Meistens kommt der Wunsch zur Hospizarbeit aus einem Erlebnis in der Familie“, sagt Reinalter und bekommt Zustimmung von Christine Pfeffer, der Leiterin des ambulanten Erwachsenenhospiz’: „Viele erleben das so. Menschen sehen, wie hilfreich es sein kann, die Lage von Schwerkranken zu verbessern.“ Nicht zu reden von dem Dank, der an die Begleiter zurückkommt.

Für Martina Reinalter sind das Erfahrungen, die ihr Dasein wertvoll machen. „All das hat so viel mit Leben zu tun“, sagt sie. „Es ist so intensiv und man lernt so viel – auch weil man sich mit der eigenen Endlichkeit des Lebens auseinandersetzt.“ Die 53-Jährige lebt seither bewusster, schätzt die schönen Dinge des Lebens mehr. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Dieses Bewusstsein nährt sich nicht aus dem Leid oder dem Schmerz. „Es ist so beeindruckend. Es gibt ganz viele Momente, in denen gelacht wird.“ Es sind wohl Momente, in denen Zeit und Raum ihre Gültigkeit verlieren. Für Christine Pfeffer ist das die Essenz der Beziehung zwischen Begleiter und Sterbendem: „Die Kranken spüren, dass da Leute kommen, die keinen Druck haben, die ganz viel Zeit mitbringen und sich auf das einlassen, was kommt.“

Martina Reinalter nimmt sich pro Woche etwa drei Stunden Zeit, um Menschen zu begleiten. Trotz dieses Aufwandes und den persönlichen Herausforderungen hat Christine Pfeffer in der Regel keine Probleme, die drei Ausbildungsgänge mit je 16 Plätzen zum Begleiter für das Erwachsenenhospiz, das Kinder- und Jugendhospiz und die Sitzwache zu besetzen. „Aber wir brauchen immer Nachwuchs“, sagt sie auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung zu einer Gesellschaft mit immer mehr Hochbetagten. Ehrenamtliche wie Martina Reinalter sind für Pfeffer auch wichtige Botschafter einer guten Sache. „Sie bringen das Thema Sterben und den Umgang damit in die Gesellschaft zurück.“

Perspektive verändert

Martina Reinalter erlebt das immer wieder. Menschen aus ihrem Bekannten- und Familienkreis, die früher „Oh Gott. Ich könnte das nie“ gerufen hätten, haben ihre Perspektive längst verändert. Aus dem anfänglichen Negieren des Themas Tod werde erst Neugier, dann eine sanfte Öffnung und schließlich sogar Unterstützung für ihr Tun in der ambulanten Hospizarbeit. Und wenn andere fragen, welche Qualitäten man als Sterbebegleiter haben müsse, antwortet Martina Reinalter mit „Offenheit“. „Wir haben alle unterschiedliche Qualitäten, aber diese Offenheit verbindet uns.“ Christine Pfeffer reicht das nicht ganz: „Wichtig ist auch die Eigenschaft, sich zurückzunehmen, sich ganz auf den anderen einzulassen.“ Martina Reinalter hat diese Bewährungsprobe längst bestanden.