Soziale Anliegen benötigen mehr Wahrnehmung und viele Mitmacher. Ostern bietet Gelegenheit, ein Bündnis für Empathie zu schmieden, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Aus dieser Woche ist ein Satz hängen geblieben, der sich – seitdem er ausgesprochen wurde – immer wieder selbst in Erinnerung bringt, was zeigt, dass er in einem wirkt und über den Tag hinausweist. Der Satz lautet: „Ich bin ein Lobbyist für Menschen.“ Er stammt von Albert J. Ebinger, dem langjährigen Geschäftsführer des Stuttgarter BHZ, eines Trägers der Behindertenhilfe. Ebinger beschrieb damit rückblickend sein Berufsverständnis.

 

Ein ungewöhnlicher Satz. Auto-, Pharma-,Wirtschaftslobbyisten, Umweltaktivisten, Tierschützer – das sind gängige Begriffe. „Menschen-Lobbyisten“, sofern es sich nicht um Menschenrechtler handelt, begegnen einem selten bis gar nicht. Warum eigentlich nicht?

Die Stadt ist voller Menschen, die sich für andere einsetzen

Möglicherweise ist es nur eine Definitionsfrage und es besteht gar kein Mangel. Tatsächlich ist die Stadt voller Menschen, die sich für andere Menschen einsetzen – ihnen nahestehenden, oft aber auch fremden. Die ausgeprägte Ehrenamtskultur, von der Krankenhilfe bis zu Besuchsdiensten in Krankenhäusern, Alteneinrichtungen und Hospizen, ist eine stille Form der Interessensvertretung. Nur dringt davon wenig nach außen. Das korrespondiert mit fehlender Beachtung und Wertschätzung – als wäre dieser Einsatz eine Selbstverständlichkeit.

Das ist er leider nicht. Viele geben und setzen sich ein, viele nehmen aber auch nur oder schauen zu. Über Ich-linge werden keine Statistiken geführt, ihr Anteil an der Stadtgesellschaft dürfte jedoch nennenswert sein. Umso wichtiger ist es, die Bedeutung des Einsatzes für Menschen mit sichtbaren oder unsichtbaren Behinderungen, Einschränkungen oder Verletzungen hervorzuheben. Spätestens an dieser Stelle wird der Menschen-Lobbyismus wichtig. Es braucht Akteure, die diese stillen, aber brennenden Themen nachdrücklich und bei Bedarf lautstark in den härter werdenden Wettstreit um Wahrnehmung einbringen. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um Partner und soziale „Mitmacher“ zu finden – ein anderes einprägsames Wort aus dieser Woche.

Aus dem Nebeneinander soll ein Miteinander werden

Von beidem – Wahrnehmung und sozialen Mitmachern – kann das Gemeinwesen nicht genug haben. Viele soziale Projekte kämen andernfalls zum Erliegen oder erst gar nicht in Schwung. Glücklicherweise sind heute in beachtlicher Zahl Interessensvertreter für Menschen in Stuttgart unterwegs, die in der Stadtgesellschaft für soziale Anliegen trommeln, auch wenn sie sich selbst nicht als Lobbyisten bezeichnen. Wichtig ist dabei, den Blick fürs Ganze nicht zu verlieren und aus dem Nebeneinander von Initiativen, wo immer möglich ein Miteinander zu machen. Wünschenswert wäre ein Stuttgarter „Bündnis für Empathie“, in dem Haupt- und Ehrenamt zugunsten von Menschen zusammenwirken, die auf Unterstützung angewiesen sind.

Eine Wunschvorstellung ist das, zugegeben. Doch wann wäre sie besser platziert als jetzt an Ostern, einem Fest, das ziemlich viel zu tun hat mit dem Lobbytum für Menschen.

jan.sellner@stzn.de