Er war Theologe, Psychologe, Stadthistoriker, er war Zuhörer, Kümmerer und Einmischer. Nun ist Albert Sting, Ehrenbürger der Stadt Ludwigsburg, im Alter von 96 Jahren gestorben.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - „Nun ist das Gesamtwerk vollendet. Dankbar und froh legt es der Autor in die Hände möglichst vieler Leserinnen und Leser.“ So schloss Albert Sting vor 15 Jahren das Vorwort zu seinem dritten, finalen Band der „Geschichte der Stadt Ludwigsburg“. Am Sonntag hat sich nun auch der Lebenskreis des 96-jährigen Theologen, Psychologen und Lokalhistorikers geschlossen: Albert Sting ist nach kurzer Krankheit in Eningen gestorben.

 

Geboren am 7. Mai 1924 im Pfarrhaus am Ludwigsburger Stadtkirchenplatz 1, besuchte Sting nach einer Zwischenetappe in Besigheim, wo sein Vater Dekan war, das Ludwigsburger Schiller-Gymnasium. Er machte 1942 Abitur, musste in den Krieg, war vier Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft. Publizistisch aufgearbeitet hat er diese Zeit in seinem Buch „Geworfen und Gehalten“, in der er seine Erfahrungen in der Kriegsgefangenschaft und seine Heimkehr in sein Elternhaus im Jahr 1949 schildert. „Es war schwer, körperlich und psychisch. Dennoch finde ich, dass die Russen uns gut behandelt haben, wenn man bedenkt, welches Leid ihnen angetan worden ist“, sagte Sting dazu vor sechs Jahren in einem Gespräch mit dieser Zeitung.

Viel gefragter Berater

Nach dem Theologie- und Psychologie-Studium in Tübingen und Göttingen wurde er Pfarrer in Waiblingen, wechselte aber schon 1966 an die evangelische Stadtkirche seiner Heimatstadt. 1971 wurde er Studienleiter an der diakonische Ausbildungsstätte der Karlshöhe, 1979 Direktor der Karlshöhe selbst.

Doch nicht nur das. Er war überdies Leiter des evangelischen Landesverbandes für Kindertagesstätten in Württemberg und des evangelischen Kinderrettungsvereins, gehörte dem Landesausschuss des Diakonischen Werkes in Württemberg an und hatte Sitze in den leitenden Gremien der evangelischen Heimstiftung und im Verein evangelischer Ausbildungsstätten für Sozialpädagogik. „Mit mehr als 600 Vorträgen zwischen 1972 und 1988 war er als einziger Diplom-Psychologe unter den württembergischen Pfarrern außerdem ein viel gefragter Referent in Ehe-, Familien- und Lebensfragen“, berichtet die Stadt Ludwigsburg in ihrem Nachruf.

In der Stadt hat er viele Spuren hinterlassen

Stings Altruismus spiegelte sich in der Stadt in vielerlei Hinsicht wider: Er machte sich für Benachteiligte stark, setzte sich etwa im Verein der unteren Stadt oder beim runden Tisch für Asylfragen ein. Er half im Förderverein Stadtkirchenorgel, das Geld für ein neues Instrument aufzutreiben. Er machte Stadtführungen, publizierte, hielt Vorträge und zählte zu den Mitbegründern des Fördervereins Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen. Auch als Mitglied der Initiative „Kommunale Kriminalprävention“ war sein Rat gefragt, ebenso als Mittler zwischen der Türkisch-Islamischen Union und der Ludwigsburger Bevölkerung, als an der Heilbronner Straße das Islamische Zentrum entstand.

Und er hielt als Zeitzeuge die Erinnerung an die NS-Gräuel aufrecht, etwa als Vize-Vorsitzender des Fördervereins Synagogenplatz – sein Schulweg hatte einst an den Trümmern der niedergebrannten Synagoge vorbeigeführt. Für sein Buch „Spuren jüdischen Lebens“ (2001) untersuchte Sting die Geschichte der jüdischen Gemeinde. Das „Wehret den Anfängen“ war ihm so wichtig, dass er 91-jährig, als rechtsextreme Übergriffe auf Flüchtlingsheime sich häuften, sein Konterfei für ein Plakat mit dem Titel „Brandstiftungen 1938 – Brandstiftungen 2015“ zur Verfügung stellte und in einer Videobotschaft zum Dialog über die besorgniserregenden gesellschaftlichen Entwicklungen aufrief. „Erinnern, versöhnen, Brücken bauen – das ist das Vermächtnis eines großen Ludwigsburgers“, so fasst Oberbürgermeister Matthias Knecht Albert Stings Wirken zusammen.

Hellwach, wissensdurstig, lesehungrig

Im Mai 2019 richteten die Stadt und die Karlshöhe ihrem verdienten, feinen, stets bescheiden auftretenden Mitbürger noch einmal einen Empfang auf der Karlshöhe aus: Da feierte er das stattliche Alter von 95 Jahren. „Ich kann wenig dafür“, sagte er in einem Interview, als er nach dem Rezept für seine langjährige körperliche und geistige Fitness gefragt wurde. „Für mich ist es einfach gut gelaufen, und ich weiß sehr wohl, dass auch das nicht selbstverständlich ist.“

Seit 2016 lebte der unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz und der Ehrenbürgerschaft gewürdigte Sting im Geschwister-Cluss-Heim: weiterhin hellwach, wissensdurstig, lesehungrig, am Geschehen in der Stadt – die ihn sein ganzes Leben nicht losließ und in der er eine wichtige Stimme war – Anteil nehmend. Zunehmend an Bedeutung gewann für ihn in den letzten Jahren das Thema Palliative Care: Es brauche einen Beruf, fand er, der – wie die Hebamme am Lebensanfang – die Menschen am Ende des Lebens begleite.

Info: Die Stadtverwaltung legt zum Gedenken an Albert Sting im Rathausfoyer ein Kondolenzbuch aus, in das sich die Bürger vom Mittwoch an eintragen können. Und am Tag des Begräbnisses wird es am Rathaus eine Trauerbeflaggung geben.