Die Gerch Group hat zu einem Workshop auf das Areal der ehemaligen IBM-Zentrale geladen. Gesucht waren Ideen zur Zukunft der denkmalgeschützten Gebäude.

Vaihingen - Warum nicht mal anders denken? Nicht nur so modern wie möglich bauen, wie es der Stand der Technik eben gerade hergibt, sondern ganz neue Wege beschreiten. Ein Leuchtturm-Quartier könnte dann im Westen von Vaihingen entstehen, eines, das bundesweit Aufsehen erregt. Und einige der Ideen dafür lieferten am Mittwoch, 4. Mai, die mehr als 100 Bürger, die zu einem Workshop in die Kantine des Eiermann-Areals gekommen waren und in Arbeitsgruppen eifrig hirnten. Die Gerch Group, die im Oktober die ehemalige IBM-Zentrale im Wald nahe der A 8 und der A 831 gekauft hatte, hatte zur Bürgerbeteiligung geladen.

 

Das architektonische Schmuckstück des 60er-Jahre-Stararchitekten Egon Eiermann liegt seit sieben Jahren brach und verkommt, verwächst wahlweise mit der umgebenden Landschaft oder schimmelt vor sich hin, vor allem in den oberen Stockwerken, jenseits der für Besucher hübsch hergerichteten Stehtischarrangements, wo das Wasser durch die Decke tropft, Moosballen auf dem Teppich wuchern und der faulige Geruch von Herbst in der Luft liegt. „Wir wissen, dass mit jedem Winter die Chancen schlechter stehen, die Gebäude zu retten“, sagte der Baubürgermeister Peter Pätzold. Es sei froh, dass nun Bewegung in die Sache kommt „und wir mit dem Planungsprozess starten können“. Naturgemäß sieht das auch der Investor Mathias Düsterdick so. „Das ist eine einzigartige Chance, ein solches Quartier entwickeln zu können“, sagte er.

Der endgültige Mix ist noch nicht festgezurrt

Die Leitplanken dafür hat ein Kolloquium im Jahr 2013 definiert. Ohne besonders ins Detail zu gehen, sah das Konzept vor, die denkmalgeschützten Gebäude zu erhalten und als Ausgleich, damit dies bezahlt werden kann, eine Nachverdichtung auf dem Gelände zu erlauben. Aspekte wie die Verkehrsanschließung und die Lärmbelastung so nah an der Autobahn wurden vorerst ausgeklammert. Entstehen sollte ein Mix aus Wohnen, Büros und Forschung, der so genau noch gar nicht festgezurrt ist, aber wohl mehreren tausend Menschen eine neue Heimat wäre.

Ergo die Bürgerbeteiligung. Und die ergab am Mittwoch, beispielhaft, Lärmschutzwände, die auf der einen Seite mit Solarpanellen bestückt sind und auf der anderen Seite wie hängende Gärten erscheinen. Oder Wohnhäuser mit kleinen Apartments, aber großen Gemeinschaftsküchen im Erdgeschoss als Treffpunkt. Oder eine digitale Infrastruktur, die ihresgleichen sucht, um innovative Unternehmen anzulocken. Oder kulturelle Einrichtung, die es sonst nirgends gibt. Kurzum, es soll ein lebendiges, kulturell quirliges, hochmodernes Viertel mit innovativen Energie- und Verkehrskonzepten entstehen – und damit das genaue Gegenteil der Satellitenstädte, die in den 60er- und 70er-Jahren aus dem Boden sprossen.

Neue Ideen für Wohnen, Arbeiten, Energie und Verkehr

Das passte den Verantwortlichen der Gerch Group, denn auch ihnen schwebt etwas Besonderes vor. Ob nun tatsächlich, oder um das Projekt den Entscheidern im Gemeinderat schmackhaft zu machen, sei mal dahingestellt. Jedenfalls zeigten sie sich gewillt, auch visionär zu denken, statt nur in Hochglanzbildern für Prospekte.

Zeugnis dafür legten eine Reihe von Experten ab, die im Auftrag des Investors schon mal Ideen entwickelt hatten. So sei die klassische Denke von Wohnen und Arbeiten passé. Künftig werden die Grenzen verwischen, den sogenannten Mikro-Apartments gehört die Zukunft, den gemeinschaftlich genutzten Bereichen oder den von mehreren Unternehmen geteilten Büros. Die Bevölkerung im Großraum Stuttgart nimmt zu und wird durch die Konzerne, die wie Magnete wirken, immer internationaler. Werte verschieben sich. Da passt die Vier-Zimmer-Wohnung nicht mehr so recht ins Bild.

Ähnlich revolutionär könne das Thema Verkehr angegangen werden. Statt klassisch auf das Automobil zu setzen, mit Parkplätzen und großen Straßen, könnte die E-Mobilität gefördert werden, das Teilen von Autos oder das Kombinieren von Elektrofahrrad, Bus und Bahn. Die Ideen könnten architektonisch gleich in Beton gegossen werden, etwa mit einer Seilbahn zum Vaihinger Bahnhof, der auf diese Weise in acht Minuten zu erreichen wäre. Durch eine solche – wenn auch risikobehaftete – Herangehensweise könnte der Verkehr um ein Drittel reduziert werden.

Fraglich ist, ob die Anregungen umgesetzt werden

Der letzte Schrei in der Wissenschaft ist das autonome und modular aufgebaute Energienetz. Demnach erzeugt jeder Haushalt, jede Fabrik, selbst Energie, teilt den Überschuss mit den Nachbarn oder zieht sich in der Spitze den Strom einfach wie bisher aus dem Netz. Hochkomplex ist das und würde auf dem Eiermann-Areal die Produzenten und Verbraucher miteinander verknüpfen und eine Kombination in großem Stil aus Geothermie, Kraft-Wärme-Kopplung und Fotovoltaik bedeuten.

Das wäre dann tatsächlich ein Leuchtturm-Quartier, das da im Westen von Vaihingen entstehen würde, vielleicht noch mit einem Hochhaus versehen – in gebührendem Abstand zu den denkmalgeschützten Gebäuden freilich – um das Viertel als Tor nach Stuttgart zu kennzeichnen. Indes, es kann auch anders kommen. Werden die Ideen ernst genommen, der Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs am Ende verwässert, wollte ein Bürger wissen. Eine Antwort bekam er nicht.