Es ist die moderne Odysee: in Stuttgart eine Wohnung finden. Gekündigt, verzweifelt, gesucht, besichtigt, gebangt – „Eigenbedarf“ zeigt, was die Suche nach einem Heim mit Menschen macht. Gespielt wird nicht auf der Bühne, sondern in Wohnungen.
Stuttgart - Die Bar ist noch da. Massiv, wuchtig steht sie im obersten Stock. Von hier sieht man auf den zugewucherten Dachgarten, den Gaskessel und die Grabkapelle. Man kann sich gut vorstellen, wie sich die früheren Bewohner hier ein Bier einschenkten und den Blick schweifen ließen. Ein Lieblingsort. Die Bar hat die Zeitläufe überstanden. Drum herum regiert der Verfall. Schwarzer Schmodder aus den geplatzten Heizungen kriecht ins Linoleum; das Glas der Fensterscheiben ist gesplittert, die Fliesen sind gesprungen. Seit zwei Jahren steht das Haus im Stuttgarter Osten leer, bald rücken die Bagger an. Zuletzt diente es als Kulisse für das Citizen Kane Kollektiv, das das Gebäude bespielte, Ausstellungen organisierte. Kurz vor dem Abriss hauchen Regisseurin Boglárka Pap, Autor Nikita Gorbunov und ihr Team dem Haus neues Leben ein.
Gespielt wird in Wohnungen
„Eigenbedarf“ heißt ihr Stück, das an diesem Freitag in einer Wohnung in der Stuttgarter Innenstadt Premiere feiert. Und danach nicht nur in Wohnungen in Karlsruhe und Tübingen, sondern auch in dem Haus im Stuttgarter Osten vorbeischaut. Dort ist alles schon fertig für den Einzug.
Enteignen! Besetzen! Zusammenrücken! Und natürlich bauen, bauen, bauen! Egal wo! Hauptsache viel! Jeder empfiehlt sein eigenes Rezept, der Streit wird erbitterter, je mehr Wohnungen fehlen. Doch Pab und Gorbunov wollen kein „politisches Statement abgeben“. Sie möchten ins „Private gehen, zeigen, was das für die Leute bedeutet, wenn sie plötzlich keine Wohnung mehr haben“. Deshalb agieren sie auch nicht von einer Bühne von oben herab, sondern kommen ins Haus.
Ein Paar wird vom Eigenbedarf heimgesucht
Fionn Stacey und Kim Földing spielen ein Paar, „das vom Eigenbedarf heimgesucht wird“. Sie müssen raus und brauchen ein neues Heim. Doch was tun, schließlich gibt es immer noch jemanden, der noch kinderloser, noch nichtrauchender und noch festangestellter sei. Auftritt Marja Rothenhöfer als Maklerin des Büros Eigenbedarf-Rentals. Sie nimmt das Paar und die Zuschauer mit auf Besichtigung. Das Drama beginnt.
Begonnen hatte alles mit einem Zettel. Und zwei Sätzen. Typisch für den Wortdrechsler Gorbunov. Eigentlich ist er Tontechniker, doch „hatte ich schon immer den Drang, auf der Bühne zu stehen, das ist wie eine Krankheit, die einen nicht mehr loslässt“. Als junger Kerl war er Hip-Hopper, „dreckig und ehrlich“, von Slam- Poetry hielt er nicht viel, „das fand ich nie authentisch, da gewinnen nur die Lustigen, der gut aussehende Lockenkopf aus Berlin“. Aber er stellte alsbald fest, man kann, auch ohne Locken zu haben, Geschichten erzählen. Das tut er auf vielfältige Art und Weise. Als Slam-Poet, als Autor. Und manchmal an einer Laterne. Dorthin klebte er einen Zettel, auf dem stand: „Ich habe keinen Bock mehr. Ich gehe zurück auf die Alb.“
Die Erlösungsgeschichte und die Heldenreise
Und traf damit einen Nerv. Er bekam Geschichten aller Art zu hören, aberwitzige, lustige, traurige. Das Thema lässt kaum einen kalt. „Da gibt es die Erlösungsgeschichten, die meistens damit beginnen: ‚Ich hatte wahnsinnig viel Glück!‘“, sagt Gorbunoc, „dann gibt es die Heldenreisen derjenigen, die nach langer mühsamer Suche was gefunden haben, und die tragischen Geschichten vom Verlust“.
So viel erzählte man ihm, dass ihm klar wurde: da muss man was machen. Mit Boglárka Pap und ihrem interkulturellen Ensemble des Forums der Kulturen hatte er bereits „It’s magic“ gemacht, ein Stück über Religionen, das in Las Vegas spielte. Man merkt, Berührungsängste haben sie keine.
Sie setzten sich zusammen und waren sich schnell einig, sich mit dem Wohnungsmarkt zu befassen. Überhaupt, der Markt. Der Ort, wo Nachfrage und Angebot zusammenkommen. Sinds der Mangel, die teuren Mieten und Kaufpreise ein Naturgesetz? Gorbunov hat da eine klare Meinung: „Das ist eine Folge des Missmanagements.“ Dazu nur zwei Zahlen:. 1990 gab es 35 Prozent mehr Sozialwohnungen als heute. Und vor nicht allzu langer Zeit ging man davon aus, Stuttgart würde heute 550 000 Einwohner haben. Mittlerweile sind es fast 630 000.
Eine wahre Geschichte
Doch das soll nur eine Nebenrolle spielen. Die Erfahrungen und Bedürfnisse der Menschen wollen sie beleuchten. Pap: „Wir wollen auffordern, ins Gespräch zu kommen.“ Am besten in der Bar. Die hat der frühere Besitzer eigenhändig gebaut. Einst hatte er das leer stehende Haus von der Stadt übernommen, die händeringend einen Generalmieter suchte. Auf eigene Kosten sanierte er das Gebäude, baute aufs Dach seine Wohnung samt Bar, um hier den Lebensabend zu verbringen. Um als Rentner von der Stadt zu erfahren, das Haus sei verkauft: Er müsse nun raus. Und zwar zügig. Kurze Zeit später starb er. Auch eine Geschichte vom Wohnungsmarkt. Eine wahre.
Für die Vorführungen am 6. April, 12. April und 13. April (jeweils 20 Uhr) kann man sich noch anmelden unter m@eigenbedarf.rentals. Dann bekommt man den Besichtigungsort mitgeteilt. Beitrag als Spende zwischen 5 und 25 Euro.