Von Montag an verschickt die Corona-Warn-App keine Hinweise mehr zu „Risiko-Begegnungen“. Ihr vorläufiges Ende wirkt auf unseren Autor wie das offizielle Ende der Pandemie. Ein Abschiedsbrief.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Liebe Corona-Warn-App,

 

nach diesem Wochenende gehst du in den sogenannten Schlafmodus. Man wird dir dann nicht mehr von einem positiven Coronatest erzählen können. Es wird niemand mehr gewarnt werden. Keiner wird mehr von dir erfahren, ob er oder sie ein hohes oder niedriges Infektionsrisiko hat. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem das jeder selbst einschätzen muss.

Viele habe immer sofort geklickt, wenn das Smartphone „Neuigkeiten von der Corona-Warn-App“ versprach. Du hast dann meist von „Risiko-Begegnungen“ berichtet, die mal einen Tag her waren, mal fast eine Woche. Als ob man sich an jeden einzelnen Kontakt hätte erinnern können! Die Lockdowns sind schon eine Weile passé, und die wenigsten haben bei dir ein Kontakttagebuch geführt. Es wäre ehrlich gesagt auch zu aufwendig gewesen, als halbwegs sozial aktiver Mensch trifft man ja inzwischen wieder so viele Leute.

Grübeln über „Risiko-Begegnungen“

Schon klar: Dass du nichts mehr zu den „Risiko-Begegnungen“ erzählen darfst, hat mit dem Datenschutz zu tun. Es ist nicht deine Schuld, dass wir hier in Deutschland unsere Daten oft besser schützen als unsere Gesundheit. Einfacher wäre es trotzdem gewesen, wenn man nicht so viel über die „Risiko-Begegnungen“ hätte nachgrübeln müssen: Saß der oder die Infizierte bloß kurz zufällig neben einem im Bus, sogar mit Maske? Oder war das einer der Kumpels in der Kneipe neulich?

Was haben wir dir nicht alles gezeigt: Testergebnisse, Impfzertifikate, unseren Standort. Dafür hast du uns das „Pandemieradar“ präsentiert, in dem du bis heute von den aktuellen Infektionszahlen berichtest. Nicht nur Datenjournalisten erinnert der 7-Tage-R-Wert an jene Zeit, in der wir fast täglich über das Virus und die neuesten Werte geredet haben. Der R-Wert hat uns damals gezeigt, ob die Infektionszahlen eher sinken oder eher steigen.

Damals gab es wenigstens noch etwas zu berichten! Mittlerweile sagen die Daten ja kaum noch etwas aus. 1500 Coronainfektionen werden am Tag noch bestätigt, die 7-Tage-Inzidenz liegt um die zehn Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner. Wie wir monatelang immer wieder auf diese Zahlen geschaut haben! Und jetzt testet einfach kaum mehr jemand, und Corona ist vorbei, angeblich. Auch wenn mein Bekannter Jörg es anders sehen dürfte. Kürzlich schrieb er, dass er auch drei Monate nach seiner Infektion „einen Schweinsbraten vom Joghurt nicht unterscheiden kann, nur optisch“. Wenigstens ist niemand aus dem Bekanntenkreis wegen der Infektion verstorben.

Man hat zu viel von dir erwartet

Lass uns lieber darüber reden, was wir dank dir alles gelernt haben. Wie QR-Codes funktionieren zum Beispiel und was man damit alles ins Handy hineinbekommt: Impfzertifikate, das Ergebnis des Coronatests, an welchem Tisch im Restaurant man sitzt . . . wobei, das war das Spezialgebiet von Luca. Klar, damit willst du nichts zu tun haben. Du bist anders. Und doch seid ihr beide kleine und teure Programme, mit denen wir die Pandemie überwinden wollten.

Man hat zu viel von euch erwartet. Apps können den Menschen nur helfen, sich anders zu verhalten. Oder sie in falscher Sicherheit wiegen. Nicht alle hatten dich auf dem Smartphone, du konntest gar nicht alle warnen, die sich womöglich angesteckt haben. Oft kam die Warnung auch zu spät, weil man ja schon vor dem Test ansteckend sein kann. Auch wenn es nicht genug war: Du hast dein Bestes getan.

Du hast uns immer wieder den Tipp gegeben, dass wir möglichst zu Hause bleiben und uns testen sollen. Wir haben das die längste Zeit gemacht. Selbst vergangenes Jahr noch, als die drei größten Infektionswellen über das Land rollten. Eigentlich war das auch deine Hochzeit, an einem Tag im März 2022 hast du mehr als eine Million rote Warnmeldungen verschickt. Diesen Februar noch einmal, weil man da auch Selbsttests melden konnte. Da war viel mehr los als im Sommer 2020, als alle dich heruntergeladen haben, dann aber lange nichts von dir hörten. Vielleicht warst du auch einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.

Ob dir wohl jemand eine Träne nachweint? Du wirst ja auch nicht ganz verschwinden. Man kann einfach nur keinen mehr mit deiner Hilfe warnen. Ehrlicherweise hat das zuletzt kaum mehr jemand gemacht. Um die 600 Menschen am Tag haben dir zuletzt noch ihre Infektion berichtet.

170 Millionen rote Warnungen

Der Abschied von dir ist wie der Abschied von drei Jahren Pandemie. Stück für Stück haben wir uns den Alltag zurückgeholt, er mag ein wenig anders sein als vor dem Coronavirus. Dass du dich jetzt fürs Erste gar nicht mehr melden wirst, wirkt trotzdem wie eine Art letzte Bestätigung, dass diese Zeit nun offiziell überwunden ist. Immerhin heißt es, du könntest schnell wieder aufgeweckt werden, wenn es nötig ist.

170 Millionen „rote“ Warnungen hast du verschickt. Mehr als 240 Millionen Testergebnisse hast du empfangen. Fast 49 Millionen Mal wurdest du heruntergeladen und wer weiß wie viele Millionen Mal wieder gelöscht. Du warst für so viele von uns Teil einer inzwischen vergangenen Zeit. Jetzt, wo sie vorbei ist, wirkt sie vielleicht nicht mehr ganz so düster wie damals. Wir haben es geschafft, wir sind da gemeinsam durchgekommen. Manch einer streitet noch, ob die eine Maßnahme vor zweieinviertel Jahren richtig war oder völlig überzogen. Dir war das stets egal, du hast einfach nur Warnmeldungen verschickt. Danke, und verstehe es bitte nicht falsch: auf Nimmerwiedersehen.

Wie die App funktioniert und was sie gekostet hat

Technik
Die am 12. Juni 2020 veröffentlichte App nutzt den Nahfunk Bluetooth Low Energy. Apple und Google hatten diesen im April 2020 für ihre Handy-Betriebssysteme freigeschaltet. Kommen sich zwei Geräte eine Zeit lang nahe, wird dieser Kontakt auf den Smartphones (und nur dort) gespeichert. Wird auf einem der Geräte ein positiver Coronatest hinterlegt, können die Kontaktpersonen darauf hingewiesen werden.

Streit
Die Bundesregierung setzte Mitte April 2020 auf eine potenziell europaweite Lösung mit zentraler Datenspeicherung (PEPP-PT). Nach Kritik insbesondere am Datenschutz und auf Druck von Apple und Google änderte die Regierung zwei Wochen später ihre Position.

Kosten
Entwicklung, Betrieb und Updates der App haben 223 Millionen Euro gekostet, bezahlt vom Bundesgesundheitsministerium. Entwickelt wurde sie von SAP, Telekom und rund 25 weiteren Unternehmen.