Alle vier Jahre das gleiche Prozedere: hat der Wahlberechtigte seine zwei Kreuzchen auf dem Wahlzettel gesetzt, kann er für vier Jahre wieder die Füße hochlegen. Denn im repräsentativen System haben dann die Berufspolitiker das Wort. Die Piratenpartei setzt dem das Prinzip der „Liquid Democracy“ entgegen. Der Begriff steht für die Verflüssigung starrer Begrenzungen, schreibt „Liquid Democracy e. V.“. Das Internet und die Software „Liquid Feedback“ sollen es möglich machen. Feste Wahlperioden sollen aufgehoben werden; Bürger sollen konkret über einzelne Gesetze statt über Komplettlösungen, also über die Wahlprogramme der Parteien, entscheiden können, und sie sollen an der Entstehung der Gesetzestexte mitwirken können. Wenn sich ein Wähler diese Entscheidungen selbst nicht zutraut oder er sich nicht mühsam in die Materie einlesen möchte, kann er seine Stimme für jede einzelne Abstimmung nach dem Prinzip des „Delegated Voting“ auf einen anderen ihm Vertrauten übertragen, der dann mit einer weiteren Stimme im Rücken diese Entscheidung trifft. Es entsteht ein flexibles System aus ständig wechselnden Mehrheiten. Diese Flexibilität klingt gut, birgt aber auch Gefahren: Weil die Delegierte ihre Stimmen ebenfalls weitergeben können, könnten am Ende einer langen Reihe von Stimmübertragungen sehr wenige Superdelegierte stehen. Außerdem kann Liquid Democracy auch Populisten den Weg ebnen. Ganz zu schweigen, welche Auswirkungen ein solch fließendes System auf Institutionen wie den Bundestag hätte. Auch die Piraten wissen um diese Bedenken. Sie beschreiben Liquid Democracy als Experiment, das auch in anderen Kontexten denkbar wäre. Es muss nicht gleich das große Ganze sein. Warum nicht beispielsweise die Meinungsbildung innerhalb eines Vereins so organisieren.

Anja Treiber