Eigentlich eine feine Sache: eine Schlichtung ist die außergerichtliche Beilegung einesStreits durch einen von einer neutralen Instanz vorgeschlagenen Kompromiss. So steht esim Lexikon – und so sah es dann im Herbst 2010 und im Sommer 2011 in der Praxis aus:Im Stuttgarter Rathaus versuchte Heiner Geißler, den Streit über Stuttgart 21 zu schlichten. DasInteresse an den Veranstaltungen war enorm, Fernsehsender übertrugen die stundenlangen Sitzungen live von A bis Z. Und obwohl nur staubtrockene Themen wie Bahnhofskapazitäten und Gesteinsformationen erörtert wurden, verfolgte das Publikum die Schlichtung mit Spannung – ein neues Phänomen der Bürgergesellschaft, das professionelle Beobachter in Euphorie versetzte. Hatte die S-21-Schlichtung nicht Modellcharakter? Wurde hier nicht die Demokratie von morgen geprobt? Die Bundesrepublik als Schlichtungsrepublik, die vor Bürgervernunft und Bürgerintelligenz nur so strotzte? Nun ja, drei Jahre später ist man klüger. Weil von Geißlers Kompromissvorschlägen nur Marginales in die Tat umgesetzt wurde, hat die Schlichtung faktisch nichts gebracht, außer der Erkenntnis, dass im Rathaus nicht die neue Demokratie, sondern nur eine fortgeschrittene Form der Demokratie-Simulation eingeübt wurde. Man mag von den Parkschützern halten, was man will. Aber dass sie sich von Anfangan der Schlichtung entzogen haben, zeugt dann doch von ihrem Gespür für postdemokratische Tricks. Respekt!

Roland Müller