Stuttgart im Frühjahr 2011, die Zeit des Aufbruchs: die Regierung, die für den schwarzen Donnerstag im Stuttgarter Schlossgarten verantwortlich war, ist abgewählt worden. Das Land blüht grün-rot auf, und der neue Ministerpräsident verschreibt sich der „Politik des Gehörtwerdens“. Letzteres, die Stimme zu erheben in der Hoffnung, ein offenes Ohr zu finden, nehmen die Bürger wörtlich und rufen auf dem Stuttgarter Marktplatz zu Volksversammlungen auf.

 

Prominente Politiker stehen Rede und Antwort, leibhaftig, unter freiem Himmel und vor mehreren hundert, auch mal mehreren tausend Bürgern, die ihre Anliegen offen und frei vortragen können. Den Auftakt macht im Juni der Ministerpräsident, den Schlusspunkt setzt im November der Justizminister – nach sieben Volksversammlungen ist das Experiment „Wir reden mit“ vorbei. Geblieben aber ist die Erinnerung an eine Form der direkten Demokratie, die in ihren Anfängen bis zur griechischen Polis zurückreicht.

Anders als im antiken Athen sind bei den Stuttgarter Bürgertreffen natürlich keine Beschlüsse gefasst worden, wir leben schließlich in repräsentativ parlamentarischen Zeiten. Trotzdem muss man kein politischer Romantiker sein, um das Feuer der Aufklärung zu sehen, das diese Volksversammlungen bis zum Herbst 2011 angetrieben hat. Glückliches Stuttgart!

Roland Müller