Einmal Vanille mit Erdbeersoße. Im Moment herrscht eine kleine Tourismusflaute auf Pellworm, seine Geschäfte laufen aber trotzdem ganz ordentlich, sagt Ralf Siegelmann. Foto: Martin Tschepe
Ralf Siegelmann hat gut zwei Jahrzehnte lang in Mannheim als Journalist gearbeitet. Jetzt lebt er auf Pellworm und tourt mit seinem Erdbeer-, Vanille- und Schokoladenbus über die Nordsee-Insel.
Wieder ein für diesen Nordsee-Sommer typischer Tag: Der Wind bläst aus Westen, die Wolken tanzen am Himmel über Pellworm. Die Farben wechseln schnell von strahlend blau zu dunkelgrau. Gelegentlich regnet es, und dann lacht bald schon wieder die Sonne. Aprilwetter im Juli. Manche Einwohner klagen, dass in dieser Saison weniger Touristen auf der Insel im Wattenmeer Urlaub machten als in den Vorjahren. Die Rede ist von Umsatzeinbußen von bis zu 30 Prozent.
Ralf Siegelmann steht am Nachmittag mit seinem Eiswagen am Hafen in Tammensiel, dem winzigen Hauptort auf Pellworm. Der 49-Jährige ist in Mannheim geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er war Fallschirmjäger bei der Bundeswehr, hat in Mannheim Fotograf gelernt und dann, ebenfalls in Mannheim, ein Volontariat beim Regionalsender Rhein-Neckar-Fernsehen gemacht. Ralf Siegelmann war 13 Jahre Kameramann, später neun Jahre Redakteur und Moderator. Er hat ein paar Medienpreise gewonnen und weite Teile der Welt gesehen.
Mannheim war immer sein Lebensmittelpunkt, die Arbeit machte ihm viel Spaß. Ein Umzug ans andere Ende der Republik? Stand nicht auf seinem Lebensplan. Ein Berufswechsel? Kam nicht in Frage. „Ich war Vollblut-Journalist.“ Eis verkaufen auf Pellworm? Was für eine verrückte Idee! Er sei nicht mal Eisfan, erzählt der Eismann am Hafen, grinst und reicht einer Kundin eine Tüte mit zwei Kugeln Schokolade über den Tresen.
Das Markenzeichen von Siegelmann: knallbuntes Hawaiihemd und Schirmmütze
Sein Geschäft laufe trotz der kleinen Touristen-Flaute ordentlich, sagt Ralf Siegelmann. „Ich verkaufe ein Produkt, das die Leute nicht selber manchen können.“ Viele Gäste und auch viele Pellwormer sparen beim Essengehen, kochen lieber daheim oder in der Ferienwohnung. Eis indes geht immer, bei jedem Wetter, so seine Erfahrung aus den vergangenen drei Jahren.
Der Himmel ist mal wieder für eine paar Minuten aufgerissen. Die Sonne lacht über dem Hafen, in dem ein paar Krabbenkuttern liegen. Postkartenidylle. Eine vierköpfige Familie schaut beim Eiswagen vorbei: „Viermal zwei Kugeln in der Tüte, bitte.“ Macht zwölf Euro. Ein Insulaner auf einem Moped fährt vor, stoppt und fragt: „Eismann, wie geht’s?“ Siegelmann, Markenzeichen knallbuntes Hawaiihemd und Schirmmütze, antwortet mit einem Strahlen im Gesicht: „Gut.“ Der Mann aus der Kurpfalz fühlt sich auf dieser einsamen Insel mit ihren gut 1000 Einwohnern wohl.
Das Eisauto im Hafen von Tammensiel Foto: Martin Tschepe/
Der Umzug nach Schleswig-Holstein kam für viele seiner Freunde in Mannheim völlig überraschend. Siegelmann kennt Pellworm von klein auf. Er war als Kind mit seinen Eltern fast jeden Winter auf der Insel zum Weihnachtsurlaub. Die raue Nordsee ist ihm vertraut, und auch seine Frau Christine habe sich bei ihrem ersten Besuch sofort in diese spezielle Insel verliebt, sagt er. Pellworm ist das Kontrastprogramm zum mondänen Sylt. Die meisten Besucher kommen entweder einmal – und dann immer wieder oder nie wieder. Hier ist kaum was los, keine Feten mit Promis, keine Clubs.
Siegelmann erzählt, dass auch sein Fernsehsender nicht vor die Krisenstimmung in der Medienbranche verschont blieb. Als sein Arbeitgeber für ein paar Angestellte ein Abfindungsangebot unterbreitete, habe er nicht lange überlegt. Er verließ den Sender und ging in die Selbstständigkeit. In Mannheim, wo sonst. Er produzierte Filme für die Industrie, für Verbände und Kommunen. Sein kleines Unternehmen sei ganz ordentlich in Schwung gekommen, sagt er. Doch dann stoppte die Coronapandemie alles. Aufträge wurden storniert. Für den Filmemacher war nicht absehbar, wann und wie es weiter geht.
Seine Frau arbeitete damals als Managerin in der Schweiz. Im Urlaub hatte sie mal aus Jux und Tollerei einen Kurs an einer Eisfachschule belegt. Zufall Nummer eins. Wenig später meldete sich ein Kumpel bei Ralf Siegelmann und erzählte, er habe einen Mann getroffen, der einen komplett eingerichteten Eiswagen, eine 450 Kilo schwere Eismaschine und alle seine 200 Eisrezepturen verkaufen wolle. Zufall Nummer zwei. Bereits 2018 hatten die Siegelmanns auf Pellworm einen alten Hof gekauft. Zufall Nummer drei. Aber vielleicht muss man auch sagen: Das alles war Fügung.
Das Ehepaar aus Mannheim kaufte jedenfalls den Eiswagen und legte einen kompletten Neustart hin: Umzug von Baden-Württemberg nach Pellworm. Seit April 2021 verkauft Siegelmann hier sein Eis. Seine Frau arbeitet nun als selbstständige Unternehmensberaterin.
Bei Badewetter steht der Eiswagen von Siegelmann am Außendeich
Ein Mann möchte zwei Kugeln Eis: Yoghurt und Pistazie. Es beginnt wieder zu nieseln. „Bestes friesisches Wetter“, sagt Siegelmann. An top Sonnentagen gehen mehrere hundert Kugeln Eis über seinen Tresen. 200 sollten es mindestens sein, sagt er. Er tourt an fünf Tagen die Woche über die Insel, ist von Mittag bis zum frühen Abend unterwegs. Bei Badewetter steht der Eiswagen am Außendeich im Norden Pellworms. Wenn das Wetter durchwachsen ist, so wie jetzt, steuert der Eismann den Hauptort Tammensiel an.
Jedes Eis sei handgemacht, verspricht Siegelmann. „Da ist nichts drinnen, was nicht rein gehört.“ Das Eis bestehe größtenteils aus Milch und Sahne. Aus Obst und aus Wasser. Die genauen Rezepturen freilich verrät er nicht. Industriell angefertigte Mischungen, die nur angerührt werden müssen, kommen für ihn nicht in Frage.
Siegelmanns bunte Geschmackspalette Foto: Martin Tschepe/
Gegen 17.30 Uhr sperrt Siegelmann seine Verkaufstheke zu und fährt vom Hafen zu einem Hof am Ortsrand, wo bereits zwei Dutzend kleine und größere Kunden sehnsüchtig warten. Bevor er den Bus abstellt, schwingt der Mann am Steuer seine Glocke – unverkennbares Zeichen für alle Eisfans auf der Insel. Viele Kinder wollen das Schlumpfeis, weil das so schön blau ist. Blaubeersaft macht’s möglich. Der Renner ist zurzeit das Franzbrötcheneis. Immer gefragt sind die Klassiker Schokolade, Vanille, Erdbeer. Gelegentlich sind auch exotische Varianten bei ihm zu haben – Earl Grey mit Sahne oder Schwarzwälder Kirsch oder Eierlikör. Sogar Hunde gehören zu den Kunden. Hin und wieder produziert Siegelmann Leberwurst-Eis.
18.30 Uhr, letzter Stopp. Im Neubaugebiet kommt eine Frau mit drei Kindern vorbei: „Gut, dass wir die Klingel gehört haben. Ein Schlumpfeis und zweimal Karamell, bitte.“ Ralf Siegelmann erkundig sich bei einem Teenager, ob er wieder fit sei. Der junge Mann bleibt stumm, nickt und bekommt ungefragt sein Eis: Schokolade. Er will immer Schoko. Eine Frau verlangt Haselnuss. „Heute nicht. Muss ich erst wieder machen.“ Jeden Montag steht Siegelmann daheim auf seinem Hof an der Eismaschine und produziert Nachschub.
19 Uhr, Feierabend. Der Eisbus parkt am Hafen. Siegelmann erzählt vom Anfang auf Pellworm. Er habe den Gastronomen keine Konkurrenz machen wollen. Sein Angebot sei eher „eine Ergänzung“. Aber klar, der Bäcker zum Beispiel ist vermutlich nicht sehr begeistert. Wer sich ein Eis holt, kauft keinen Kuchen. Ralf Siegelmann sagt, er habe den Neustart am Meer noch nicht einen Tag bereut. Obwohl die Umstellung enorm gewesen sei.
Pellworm sei mehr Segen als Fluch
Pellworm sei „Fluch und Segen“. Aber mehr Segen als Fluch, schiebt er schnell nach. Essen gehen nach 22 Uhr, wie in Mannheim? Hier schier unmöglich. Die Wintertage seien lang. Lang und dunkel. Wer auf dieser kleinen Insel lebt, sagt der Mannheimer Eismann, müsse mit sich, mit der Partnerin und mit den Nordfriesen klarkommen. Die Menschen seien anders als die in Süddeutschland. Oft wortkarg. Mitunter ein bisschen störrisch. „Aber wenn es kritisch wird, halten alle zusammen.“ Bei Sturmflut zum Beispiel.
„Die Vorteile überwiegen. Auf Pellworm gibt es keinen Mord und Totschlag“, sagt Ralf Siegelmann, der früher über ungezählte Verbrechen im Rhein-Neckar-Gebiet berichtet hat. Auf der Insel müsse auch niemand seine Haustür abschließen oder das geparkte Auto. Die Ruhe, der Sternenhimmel und die Polarlichter seien grandios. Pellworm ist seine heile, neue Welt.