Ernst Hermann Maier weigert sich, seine Bullen, Kühe und Kälber mit den von der EU vorgeschrieben Ohrmarken zu kennzeichnen. Deshalb hat der Bauer nun Probleme.

Region: Verena Mayer (ena)

Ostdorf - Auf der einen Seite thront die Burg Hohenzollern, auf der anderen ragt der Lemberg in die Höhe. Dazwischen liegt Ostdorf: keine 2000 Einwohner, eine Metzgerei, ein Lebensmittelladen, eine Gaststätte, zwei Haltestellen für den Bus in die Kernstadt Balingen. Die Häuser tragen Fachwerk, vor den Fenstern hängen Klappläden und im Sommer Geranien. Man kann sagen: Ostdorf ist ein Nest. Richtig ist aber auch: Ostdorf ist ein Widerstandsnest, denn hier lebt Ernst Hermann Maier. Ein Mann mit kahlem Kopf, blauen Augen, leiser Stimme und sanftem Händedruck.

 

Maier ist 71 Jahre alt, den Hof führt inzwischen seine Tochter Annette. Doch nun müssen er und seine Familie kämpfen. Maier ahnt, dass die Auseinandersetzung dauern kann, dass sie vermutlich ein Vermögen kostet und sicherlich Nerven. Doch es geht nicht anders. Der Widerstandskämpfer ist wild entschlossen: „Schwachsinn muss man zu Fall bringen!“

Der Schwachsinn, von dem Maier spricht, ist gelb, besteht aus biegsamem Kunststoff und wiegt zehn Gramm. Regulär werden die Teile Ohrmarken genannt. Regulär gehören sie an die Ohren von Rindern – auch an die 264, die Maier zurzeit auf seinen 80 Hektar umfassenden Weiden stehen hat. Die Ohrmarke dient der amtlichen Kennzeichnung der Tiere. Seit 1999 ist in der Viehverkehrsverordnung geregelt, dass jedem Kalb spätestens sieben Tage nach der Geburt in jedes Ohr eine gut sichtbare Marke eingezogen wird, deren Inhalt – Geburtsdatum, Geburtsort, Geschlecht – in einer Datenbank registriert ist. So soll die Spur der Tiere zurückverfolgt werden können.

Der Gedanke an Löchern in den Ohren tut ihm weh

Die Rinder der Maiers haben keine Marke. Maiers halten diese Art der Kennzeichnung für steinzeitlich. Allein der Gedanke an das Löchern der Ohren tut dem Seniorchef selbst weh. „Das ist pervers und fürchterlich“, schimpft Ernst Hermann Maier. Als ob ein lebendiges Tier ein Auto sei, dem man ein Schild anklemmen kann. Weil seine Rinder das ganze Jahr über im Freien leben, seien die Plastikteile ohnehin impraktikabel. Bei Streifzügen durch Hecken und Wäldchen verhakten sie sich ständig, rissen aus und hinterließen Wunden und verstümmelte Ohren.

Maiers kennzeichnen ihre Rinder deshalb anders. Sie pflanzen den Tieren einen Mikrochip ein. Das Stäbchen ist etwa einen Zentimeter lang, hat einen Durchmesser von weniger als einem Millimeter und wird den Kälbern nach ihrer Geburt neben ihrer linken Schwanzwurzel injiziert. Ein Lesegerät, über das Hinterteil gehalten, fördert die im Chip enthaltenen Daten auf Knopfdruck zu Tage.

Die gelben Ohrmarken kaufen die Maiers trotzdem. Mit den jeweiligen Chipdaten und Rinderpässen lagern sie im Büro. Die Rinder aus Ostdorf sind sozusagen doppelt identifizierbar. Mit dieser Methode arbeiten Maiers seit 14 Jahren. Probleme gab es deshalb nie.

Post vom Landratsamt

Doch die gibt es jetzt. Im November trifft auf dem Maier-Hof Post vom Landratsamt Zollernalbkreis ein. Das dort angesiedelte Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz teilt den Maiers mit, dass ihre Chips nicht im Einklang mit den Vorschriften der EG-Verordnung 1760/2000 stehen – und deshalb die Kürzung von Fördermitteln der EU drohe. All die Jahre hatten Maiers jeweils 25 000 Euro erhalten. Für 2012 wurden ihnen wegen des vorschriftswidrigen Agierens bereits 5000 Euro abgezogen. Bis 2014 sollte die komplette Summe gestrichen werden.

Dabei, versichert das Landratsamt, wolle man das alles gar nicht. Aber man sei dazu gezwungen. Gabriele Wagner, die Leiterin des Veterinäramts, sagt, man hätte Maiers Markierungsarbeiten eigentlich längst ahnden müssen. Man habe es aber nicht getan, weil der Betrieb sehr akribisch und sorgfältig arbeite und die Kennzeichnung mit Mikrochips den gleichen Zweck erfülle wie die mit Ohrmarken. Sie sei darum geduldet worden. Doch dann habe es eine Anzeige gegeben. Damit beginnt der Rinderwahnsinn von Ostdorf.

Es dürfe nicht sein, klagte der Anonymus, dass die Maier-Rinder eine Sonderbehandlung bekämen und der Hof auch noch Fördermittel. Darum weist das Landratsamt Maiers im November auf den drohenden Verlust des Geldes hin. Doch die Familie denkt nicht daran umzudenken. Ernst Hermann Maier sagt: „Das tun wir ganz bestimmt nicht, natürlich nicht!“

Die Geschichte von Maiers Widerstand

Um zu verstehen, warum diese Weigerung für Maier natürlich ist, muss man die Geschichte seines Widerstands kennen. Sie beginnt im Jahr 1983. In jenem Herbst wird Maiers Vater krank und fällt auf dem Hof aus. Die Familie beschließt, ihre Rinder den Winter über auf der Weide lassen, wo sie weniger Arbeit machen. Ernst Hermann Maier wird also aus der Not heraus zum Freilandbauern.

Doch schnell handelt er aus Überzeugung. Er verzichtet auf Kraftfutter, Hormone oder Antibiotika. Seine Tiere nennt er Urias, in Anlehnung an den Auerochsen Ur. Sie kriegen nur Gras oder Heu. Futtertröge oder Ketten kennen sie nicht. Auch keine Transporter, in denen sie zum Schlachthof gekarrt werden.

Maier will ihnen nicht Stress, Angst und Schmerzen zumuten. Er beschließt, seine Rinder auf der Weide zu erlegen. Doch das ist schwierig. Erst mangelt es am geeigneten Schützen. Dann – als Maier schließlich selbst den Jagdschein in der Tasche hat – an der Schießerlaubnis. Die Stadt Balingen ist gegen seine bis dato ungewohnte Schlachtmethode.

Hundert Sympathisanten

Landwirt Maier muss sich durch die Instanzen bis zum Verwaltungsgerichtshof Mannheim durchklagen. Am 19. Oktober 2000 bekommt er schließlich recht – fast 20 Jahre, nachdem er auf Freilandhaltung umgestellt, und zwölf Jahre, nachdem er seine Schießerlaubnis beantragt hat. In der Zwischenzeit hat der Revoluzzer von Ostdorf so viele Schulden angehäuft, dass sein Hof zweimal kurz vor der Zwangsversteigerung steht. Durch die Hilfsbereitschaft von mehr als 100 Sympathisanten kann sie abgewendet werden.

„Wenn ich den Rindern jetzt Ohrmarken steche, dann war das alles umsonst“, sagt Maier. Er will, dass es seinen Tieren gutgeht. Seine leise Stimme klingt jetzt sehr bestimmt, seine sanfte Hand fährt hart auf den Tisch, an dem er sitzt. „Diese Prozedur ist pervers. Da krieg ich einen heiligen Zorn“, sagt Maier. Er will für seine Chips kämpfen und für seine volle Fördersumme. „Wir haben ein Gewohnheitsrecht. Das kann man doch nicht nach Lust und Laune durcheinanderwerfen.“

Doch es kommt noch verrückter.

Im Februar trifft auf dem Hof in Ostdorf ein zweiter Brief des Landratsamts ein. Darin steht: für einen effektiven Tierseuchenschutz gebe es kein milderes Mittel als die Ohrmarkenkennzeichnung. Die Behörde erlässt nun eine Anordnung: Bis spätestens zum 30. Juni müssen alle Maier-Rinder mit Ohrmarken versehen werden. Neugeborene Kälber sind sofort entsprechend zu markieren. Von einer Duldung der Chips und gekürzten Fördermitteln ist jetzt keine Rede mehr.

Die Kunden loben den vollen Geschmack

Die Maiers verstehen das nicht. Was ist zwischen dem ersten Brief im November und dem zweiten im Februar passiert? Gabriele Wagner vom Veterinäramt sagt noch immer, dass sie persönlich mit der Chipkennzeichnung leben könne, es als Amtsleiterin aber nicht dürfe. Doch nun sagt sie auch: „Der Druck wurde so groß.“ Das Regierungspräsidium und das Landwirtschaftsministerium hätten über den Fall befunden und festgestellt: für die Chips gebe es keine Rechtsgrundlage. Wie alle Rinder brauchten auch die Ostdorfer Ohrmarken.

Ernst Hermann Maier schlachtet zwei Tiere pro Woche. Erst betäubt er das Rind mit einer schallgedämpften Waffe auf der Weide, dann verfrachtet er es in seine mobile Schlachtbox, schneidet ihm dort die Halsschlagader auf und lässt es ausbluten. Daheim auf dem Hof zerlegt ein Metzger das Tier in Steak- und Bratenstücke. Die Uria-Ware ist gefragt. Die Kunden loben den „vollen Geschmack“. Das komme vom würdevollen Umgang mit den Rindern, erklärt Maier, der alle seine Tiere bei ihrem Namen nennt. Der Bauer hält Vorträge und veranstaltet Exkursionen zu seiner Herde. Beständig spricht er darüber, dass nicht das wirtschaftliche Interesse im Vordergrund zu stehen hat, sondern Wohlbefinden, Glück und Zufriedenheit der Tiere.

Ernst Hermann Maier und seine Familie werden der Anordnung des Landratsamts nicht folgen. Sie haben einen Anwalt engagiert. Und die 400 Mitglieder des Tierschutzvereins Uria unterstützen sie. „Wir sollen aufhören, innovativ zu sein. Das ist doch Blödsinn!“, ruft Maier. Er klingt fast, als freue er sich auf die Auseinandersetzung mit den Behörden. Hat nicht der jüngste Lebensmittelskandal eben erst bewiesen, dass Fleisch von Rindern mit Ohrenmarken nicht zwangsläufig vertrauenswürdig ist? Ernst Hermann Maier fühlt sich nicht wie der kleine David, der es mit dem großen Goliath aufnimmt. Er fühlt sich wie jemand, der gute Gründe hat, sich gegen „unsinnige Verordnungen“ zu wehren. Wie es sich für einen Widerstandskämpfer gehört.