Homam Jaamour macht in Korntal eine Ausbildung zum Friseur. Der 20-Jährige aus Syrien bezeichnet seine Arbeit als den „besten Integrationskurs“ überhaupt. Am Anfang gab es allerdings einiges, wozu er sich überwinden musste.

Korntal-Münchingen - Frau Ana“ ist mehr als bloß seine Chefin: Sie ist für Homam Jaamour auch eine Ersatzmutter geworden. Und Anastasia Exouzidis’ Mann ist „wie ein Vater für mich“, sagt der 20-Jährige aus Syrien. Er lebt nicht nur seit fast drei Jahren im Stadtteil Korntal, er macht dort seit Herbst 2016 auch eine Ausbildung zum Friseur im Salon der gebürtigen Griechin. Bei den Kundinnen sei er sehr beliebt, alle wollten mit ihm reden, sagt Exouzidis. Sie hat den Syrer erst ins Herz geschlossen und dann unter ihre Fittiche genommen. „Ich habe mit dem Jungen Glück gehabt, er hat viel Talent. Den gebe ich nicht mehr her.“ Neben Talent hat Jaamour, dessen Mutter Friseurin ist, auch große Pläne.

 

Dass er mal ungezwungen mit fremden Frauen plaudert und ihnen die Haare schneidet – bis vor einiger Zeit war das undenkbar für den 20-Jährigen. In Syrien gibt es in der Öffentlichkeit in der Regel keine Berührungen zwischen Männern und Frauen, selbst Augenkontakt wird teilweise vermieden. Das habe mit Respekt gegenüber der Frau zu tun, erklärt Jaamour, der in den Sommerferien Kindern die Haare schnitt. Entsprechend groß war die Scheu, als er mit seinem Betreuer vor dem Salon stand. „Ich habe nur Frauen und Blondinen gesehen und hatte Angst.“ Die Hartnäckigkeit des Betreuers lohnte sich: Anastasia Exouzidis stellte Jaamour zunächst als Praktikanten ein.

Kundinnen als Kunstwerke

Die erste Zeit war hart, für alle. Jaamour tat sich schwer damit, dass Frauen und Männer hier freier, unkomplizierter miteinander umgehen als in Syrien. Sie habe ihn nicht mal am Arm berühren dürfen, erinnert sich die Saloninhaberin. Den Kundinnen die Haare waschen? Ausgeschlossen! Also wusch und föhnte Exouzidis’ Mann geduldig einen Tag lang Haare. Homam Jaamour habe sich köstlich amüsiert. Er solle die Frauen als ein Bild betrachten, das er verschönere, riet die Chefin ihrem Azubi. Die Tricks fruchteten, und allmählich wich die Scheu dem Charme und der Gesprächigkeit. Mittlerweile hat Homam Jaamour auch Tugenden wie Pünktlichkeit verinnerlicht. Zwischen 8.30 und 18 Uhr hilft er Kunden auch in die Jacke oder hält die Tür auf.

Sein Job sei toll – und der beste Sprach- und Integrationskurs überhaupt, schwärmt er. Deutsch lerne er im Salon wie in der Berufsschule – und auch, wie die Menschen ticken. Die Kunden sind so verschieden wie ihre Frisuren, auf jeden muss er sich entsprechend einstellen. „Man merkt schnell, wie gesprächig eine Person ist, oder ob sie über Privates reden will“, meint Jaamour. Er wollte von Anfang an in Deutschland arbeiten und Deutsch lernen. Weiter zur Schule zu gehen oder einen Deutschkurs zu besuchen, lehnte er ab. „Ich bin ein Praktiker.“ Im Salon korrigierten die Kunden ihn, wenn ein Satz schief klingt oder er ein Wort falsch verwendet. Eine Kundin gebe ihm Nachhilfe.

Großes Vorbild Ronaldo

Vor dem Krieg geflohen ist Homam Jaamour mit 17 Jahren, allein. Die Eltern und vier Brüder brachen drei Monate nach ihm auf, wurden aber von Frankreich aufgenommen. Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling kam Jaamour in die Obhut der Jugendhilfe Korntal, wo viele Flüchtlingskinder landen. Mit zehn anderen jungen Männern wohnte er erst in einer Gemeinschaftswohnung, dann in einer städtischen Unterkunft. Privatsphäre gab es kaum. Seit April lebt er in einer privat vermieteten Vierer-WG. Dort fühlt er sich endlich wohl.

Jaamour hat Freunde gefunden, macht Ausflüge, spielt Fußball, trainiert im Fitnessstudio. All das erleichtert es ihm, dass er Hunderte Kilometer von seiner Familie getrennt ist. „Ich vermisse sie sehr, aber ich will meinen ersten Schritt hier beenden.“ Zudem kann er nur mit einer abgeschlossenen Lehre seine ehrgeizigen Pläne umsetzen: Er will auf einem Schiff anheuern und sich mit dem Verdienst die Meisterschule finanzieren – um später als selbstständiger Friseur Salons zu eröffnen. Auf einen Kunden hofft er dabei besonders: Cristiano Ronaldo. Der 20-Jährige schätzt den portugiesischen Fußballstar, weil er sich für syrische Kinder und Familien einsetzt. „Und er hat wie ich bei Null angefangen.“