Fitnesstraining ist schwer im Kommen: digitalisiertes Training, Wellness und kontrollierte Gesundheit – ein Besuch auf der weltgrößten Fitnessmesse Fibo in Köln.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Köln - Am Nachmittag, die Sonne schaut gerade schräg in die Kölner Messehallen herein, fällt einem beim Stufensteigen Richtung Schrittzahl 19 000 auf der Fitnessmesse Fibo ein älteres Lied von Funny van Dannen ein. Es heißt „Alle müssen was tun“ und beginnt, zu manisch geschrappten Akkorden, so: „Händler müssen handeln, Käufer müssen kaufen.“ Segler, Jäger, Tänzer, Taucher, Diener und Macher – „alle müssen was tun.“ Funny van Dannen war in der Jugend ein vielversprechender Fußballer und hätte als Leistungssportler in der niederländischen Ehrendivision spielen können. Aber dann ließ er es bleiben, malte lieber, dichtete und sang. Das macht er bis heute in Berlin, wo er häufig einfach dem Menschentum und seinem Gewese hinterherschaut. Und dann sieht er in „Alle müssen was tun“ zwischendurch den Tod neben der Supermarktkasse. Der Tod sitzt einfach nur da, hat schwarze Schuhe an – und wartet. Mit dem Tod freilich wollen wir ja im Allgemeinen lieber nichts zu tun haben, hier und heute, und es werden ja auch viele alt und älter und möchten am Ende womöglich unsterblich werden, wer weiß. So gesehen muss man was tun, zum Beispiel: fit sein, superfit, am Ende ein Gesamtkunstwerk. Deshalb „definiert“ man den Körper, wie das heißt.

 

Der Kampf gegen die „Nutella-Falte“ gelingt nur mir hartem Training

Im Übrigen ist es die Tageszeit, während der sich in der Messeluft allmählich ein leicht klebriger, fruchtiger Geruch breit- und breiter macht, was an der exorbitanten Red-Bull-Dichte im Ausschank liegt. Die Werbung sagt, man bekomme nach dem Trinken Flügel. Und? Im Basement, bei Michelle und ihrem Workout-Programm, ist es schnell vorbei mit der Erhebung. Hier steht man als Mensch auf zwei Beinen und hartem Betonboden gerade eher neben sich und seiner Matte und sucht nach der „Nutella-Falte“, wie Michelle das nennt, weil es netter klingt als „Schwimmring“. Dreißig Probanden, über 40 im Durchschnitt, tasten sich ab, und die meisten wissen, dass sie fündig werden. Gegen die Falte, sagt Michelle im häufig geflüsterten Kommandoton, helfe nur – und jetzt wird es lauter: „Training“, „Challenge“, „Power“ – und ab geht’s wieder mit messerscharfen Beinwürfen in die Luft wie beim Kickboxen. „Acht, sieben . . . und noch vier.“ Das schmerzt. Andererseits gilt als Ultima Ratio: „perform better“, „go up mountains“, „final destination“. Die branchenübliche Fitnesssprache steckt voll von diesen Maximal-, Berg- und Grenzenlos-Metaphern. Und wer im Himmel ist, ist vielleicht am Ende, aber eigentlich immer noch nicht da.

Man kann das gut an Suzanna Randall sehen, die womöglich die erste deutsche Frau im Weltall sein wird und 2020 in der Raumstation ISS landet. Es gibt noch eine Konkurrentin, aber für den Fall der Fälle ist die Atomphysikerin Randall gerüstet. Was im Orbit-Gym wartet, zählt zum Standard auf der Fibo: Fahrräder, an denen die Füße festgetackert sind; Laufbänder, an denen man mit der Schulter fixiert wird. Eine Art Zwangsjacke, ein bisschen Gefängnis – und man muss das schon mögen. Randall hält es ansonsten mit Yoga, einer Alternative zum Kraftsport, die größere Abschnitte auf der Messe beschlagnahmt hat.

Fitness ist weder ein Jungens- noch ein Jugendding

Fitness ist weder ein Jungens- noch ein Jugendding mehr. Die Zahlen sprechen für sich. Entsprechende Studios gibt es in Deutschland reichlich. Fast 10 000 sind es mittlerweile, knapp elf Millionen Menschen strampeln sich ab, bringen sich in Form und vermessen sich selbst. Man sieht das ziemlich gut in jeder deutschen Großstadt, wenn die Lichter abends angehen. Wo früher Rauch aufstieg, bricht sich heute Schweiß in Bächen Bahn. 5,2 Milliarden Euro hat die deutsche Fitnessbranche im vergangenen Jahr umgesetzt beziehungsweise bewegt.

Wie es die Zeitläufte so wollen, hat die Kölner Historikerin Nina Verheyen gerade ein Buch veröffentlicht, das die „Erfindung der Leistung“ (Hanser-Verlag) sehr ambivalent beleuchtet. Sie zeigt darin, dass der Sport, als er zu Beginn des 20. Jahrhunderts gesellschaftsrelevant wurde, die Leistung über die pure Anpassungsleistung hinaus entwickelte. Ob im Betrieb oder in der damals noch kargen Freizeit: Menschen wurde beigebracht, ihre „Performance präzise zu beobachten und vermessen zu lassen sowie diese mit den Leistungen anderer zu vergleichen“. Das waren die Anfänge. Darüber hinaus ist eine der Kernthesen, dass die Leistung eine „soziale Konstruktion“ sei, obwohl namentlich der Spitzensport am Ende zur Individualisierung neigt. Wenn Christiano Ronaldo zur Selbstfeier schreitet, waren vorher ein Team und viele Helfershelfer beteiligt. Sollte man man nicht vergessen.

Auch unter Rentner ist der Gesundheitswan ausgebrochen

Wie befreiend es sein kann, fit zu sein und dabei in einer Gruppe aufzugehen, erzählt einem in Köln der 21-jährige Ahmed A., der vor seiner Pubertät ein „ziemlich guter Spieler“ bei Grün-Weiß Nippes gewesen ist, sich dann gehen ließ und „jede Menge Probleme hatte“, bis er bei 92 Kilo angekommen war: „Körpergröße 1,75 Meter. Ich war richtig fett, katastrophal.“ Rausgeholt hat ihn da zuerst die Musik und namentlich der Rap von Kollegah und Farid Bang, die gerade wegen ihrer teils antisemitischen Texte in der Kritik stehen: „Jung, brutal, gutaussehend“, das war das Lied, und danach sei die Fitnessszene unter den jungen Leuten in Köln explodiert: „Jeder fand es cool, ins Studio zu gehen und breit zu werden.“ 20 Euro im Monat, normale Sportklamotten, „das kann sich jeder leisten“. Ahmed hat, nachdem er abgenommen hatte, wieder „Gewicht gemacht, Kardio und explizit Muskeln aufgebaut“; Pläne gebe es zuhauf im Internet. Alles kein Problem.

Natürlich kann das alles buchstäblich seine Auswüchse haben. Wenn die Leute „Testosteron, Trenbolon (ein Ochsenmastmittel) und Ähnliches“ nähmen, sagt Ahmed, „bis sie kaum mehr gehen können“. Nicht schön. Nicht sein Ding. „Ein paar Hanteln“ reichten, das Handy auf Flugmodus, „und man ist zwei Stunden bei sich und doch in der Gruppe“. Denn darum geht es eben auch: Muskeln machen im Kollektiv. Dass, so gesehen, der „Gesundheitswahn ausgebrochen“ sei, auch unter Rentnern, findet Ahmed „eine super Sache“. Und, um Fanny van Dannen noch mal zu bestätigen: „Man muss was tun, Mann.“

Die Hauptplage im Fitnessbereich ist noch immer der Rücken

Wer die Welt und auch den Wahn des Workouts im Detail studieren mag, kann auf jeden Fall mittlere Wunder erleben in Köln. Vom Balance-Pad-Solid, wo man auf „noppenartiger Oberfläche mit verstärktem Härtegrad“ auch als Best Ager gut Halt findet, über die High-End-Pakete für „effektiven Work-out des gesamten Körpers“ bis hin zum ersten Low-Carb-Wrap aus Lein- und Chiasamen wird von 1133 Ausstellern aus 44 Ländern – die meisten aus China und den USA (Afrika ist vermehrt im Blick) – Enormes und, ja, auch Monströses geboten. Ein Trend geht zum „Check-up und Re-Check“, was nichts anderes bedeutet, als dass man die Maschinen so lange mit Daten füttert, bis sie einem digital visualisieren, wo man im Training steht. Inklusive Risiko-Screening. Wie es einem geht, weiß beim sogenannten Health Monitoring der Computer am besten. Manchen empfehlen die Fitnesstracker Slow Jogging. Die Schritte werden dabei klitzeklein, die Fersen berühren nicht den Boden. Das sieht ein bisschen komisch aus, aber was täte man nicht alles . . .

Andererseits heißt die Hauptplage im Fitnessbereich, auch wenn’s altmodisch klingt, immer noch: Rücken. Rücken hat fast jeder, sagt Doktor Thomas Beisswenger vom Berufskolleg Waldenburg, der eine Behandlung durch Elektromyostimulation (EMS) empfiehlt: Muskelbearbeitung in tieferen Schichten. Der Markt für Trainer, so Beisswenger, sei riesig. „Wir reden im Rehabilitationsbereich von einem Marktpotenzial von 12 Milliarden Euro.“ Podiumsauftritte wie diese sind in Köln die Ausnahme, ansonsten beraten sich die Influencer und ihr Publikum individuell.

Die Bundeswehr trainiert „wie früher“

Einen echten Kontrapunkt zum bunten, mit Beats zugedröhnten, kirmeshaften Geschehen ringsumher bietet auf der Fibo die Bundeswehr. Zwar tritt auch sie unter dem Motto „Be strong“ an und rühmt sich ihrer „Smart Textiles“, was heißt, dass einem das Unterhemd meldet, wenn der Körper, physiologisch gesehen, in Flammen steht. Das Trainingsgelände ist freilich so antiquiert ausgestattet, wie man es in Köln kein zweites Mal mehr findet. Unter mit Fahrradreifen zu länglichen Dreiecken zusammengebundenen Matten robben ein paar Rekruten über den Boden, und es riecht auf einmal nach Zirkeltraining und Turnhalle. Massenauftrieb generiert das kaum. Immer wieder bleiben ein paar Leute stehen, lächeln und sagen: „Wie früher.“ Dann gehen sie weiter. Was tun.